Hundert Namen: Roman (German Edition)
hier, aber jetzt habe ich meine Chance, allen zu zeigen, was ich kann.« Jedreks Stimme brach, und er hielt inne, um sich zu sammeln. Kitty wollte ihn zur Eile antreiben, aber sie konnte nicht, denn sie belauschte ein Telefongespräch mit seiner Frau, ein wunderschönes, berührendes Gespräch. Andererseits wartete ein ungeduldiger Rekordrichter auf sie, und auch die Hochzeitsgesellschaft versammelte sich bereits am Ufer, um den Rekordversuch mitzuerleben. Vielleicht war Kitty mit der Nachricht, dass der Rekordrichter da war, etwas zu laut herausgeplatzt. Jedenfalls war sie auf großes Interesse gestoßen, und als dann auch noch die Gäste des zuletzt aufgestellten Tischs aufsprangen und man zwei Männer mit einem Tretboot über die Wiese rennen sah, hatte ein Gast nach dem anderen den Saal verlassen und sich zu der kleinen bunten Gruppe am Flussufer gesellt. Hier warteten nun alle darauf, dass Jedrek das Gespräch mit seiner Frau zu Ende brachte.
Endlich steckte er das Handy wieder ein, rieb sich die Augen trocken und wandte sich stolz und selbstbewusst der Menge zu. »Wir schaffen es, Achar, mein Freund!«, rief er, hakte sich bei seinem Mitstreiter unter, und so marschierten die beiden Arm in Arm unter dem Beifall der Versammelten zum Wasser hinunter.
»Wären Sie so nett, ein paar einführende Worte zu sagen?«, bat Jedrek Kitty.
»Okay.« Kitty räusperte sich. Steve machte Fotos. »Ladys und Gentlemen, liebes Brautpaar« – Braut und Bräutigam lauschten genauso gespannt wie alle anderen –, »wir bitten um Entschuldigung, dass wir Sie alle von der Hochzeitsfeier weggelockt haben, aber unsere Freunde Jedrek und Achar, die seit fast einem Jahr für diesen Augenblick trainieren, werden nun versuchen, einen neuen Weltrekord im Zwei-Mann-Tretboot-Sprint über hundert Meter aufzustellen. Zurzeit liegt dieser Rekord noch bei einer Minute achtundfünfzig Komma sechs zwei, und sie wollen versuchen, diese Zeit mit einer Minute achtundfünfzig zu unterbieten.«
Aufgeregtes Murmeln und Klatschen war von den Umstehenden zu hören.
»Ich habe miterlebt, wie die beiden diese Zeit geschafft haben, ich war als Augenzeugin dabei, aber heute haben wir als offiziellen Zeugen für unsere Freunde einen Rekordrichter von Guinness World Record bei uns. Und nun bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für unsere Freunde Jedrek und Achar!«
Wieder gab es Jubel und Beifall, und James, der Rekordrichter, lebte sichtlich auf, als er sah, dass er einem Publikum von immerhin zweihundert Menschen gegenüberstand.
»Ihr schafft es, Jedrek und Achar!« Birdie drückte den beiden Männern einen rosa Lippenstiftkuss auf die Wange. Archie klopfte ihnen ermutigend auf den Rücken, wie es sich für ihn als Coach und Anfeurer gehörte. Steve fotografierte, Eva, Mary-Rose, Ambrose und Eugene drängten sich zu ihnen, und auf einmal war Kitty unfassbar stolz auf ihre kleine Gruppe so verschiedenartiger Menschen, die sie, nein, die Constance zusammengeführt hatte.
Alle strebten zum Ufer, um einen möglichst guten Blick auf den Rekordversuch zu haben.
Schließlich stiegen Jedrek und Achar in ihr Tretboot, fuhren gemächlich hundertfünfzig Meter aufs Wasser hinaus und gingen dort in Stellung. Einen Moment hielten sie sich an den Händen und sprachen ein Gebet, dann sahen sie sich an, versicherten sich wortlos ihrer Unterstützung, und nun waren sie bereit. Der Rekordrichter gab, die Stoppuhr fest in der Hand, das offizielle Startzeichen, und sofort waren sie unterwegs.
Die Menge applaudierte und feuerte die beiden an, das Brautpaar jauchzte und brüllte auf seinem Ehrenplatz, offensichtlich sehr angetan von dem Event, mit dem sie so unerwartet unterhalten wurden. Unterdessen traten Achar und Jedrek so kräftig in die Pedale wie nie zuvor, hochkonzentriert, entschlossen und beseelt von dem Ziel, akzeptiert und anerkannt zu werden, dem Wunsch, die Jahre der Leere und Hoffnungslosigkeit zu vergessen, der Sehnsucht, dass dieser Moment sie erlöste und sie sich endlich wieder als Männer fühlen konnten. Die Schaulustigen am Ufer konnten hören, wie sie sich auch gegenseitig Mut machten. Als sie die Hundertmetermarke passierten, brachen alle in frenetischen Beifall und Jubel aus. Unsicher, ob ihr Vorhaben wirklich gelungen war, blickten Jedrek und Achar auf.
»Ihr habt es geschafft!«, rief Kitty ihnen zu, und nun sprangen die beiden Männer auf, fielen sich in die Arme und fingen vor lauter Freude in ihrem Boot so wild zu hüpfen an, dass sie
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