Hundert Namen: Roman (German Edition)
Beteiligten alle selbst erledigt, und bei Sam und Mary-Rose ist die Sache, soweit ich es beurteilen kann, noch in Arbeit.« Sie schauten zu dem Freundespärchen, das in ein ernsthaftes Gespräch versunken schien. »Ein Geschenk von Ihnen würde den beiden bestimmt weiterhelfen.«
Lächelnd fingerte Eva an der Tasche herum, die sie in der Hand hielt. Dann schaute sie Kitty an und seufzte. »Gott, Sie sind unmöglich.«
Kitty lachte. »Gut!«
»George hat mir etwas geschenkt.«
»Oh! Ein Geschenk für eine Geschenkfinderin, den Mut hätte ich nicht.«
»Unsere kleine Reise war eine der besten meines Lebens, wissen Sie«, sagte sie, und Kitty glaubte es ihr.
»Danke. Was hat George Ihnen denn geschenkt?«
»Das hier«, antwortete sie, öffnete ihre Tasche und holte ein kleines chinesisches Lackkästchen heraus. Als sie es ansah, füllten sich ihre Augen sofort mit Tränen.
»Anscheinend bedeutet es etwas Besonderes für Sie.«
»Ja.« Eva wischte sich die Augen, bevor die Tränen überquollen. »Er hat sich daran erinnert, dass ich ihm von einem Geschenk erzählt habe, das mir sehr viel bedeutet hat. Und er hat genau die richtige Imitation davon gefunden.«
»Hat Ihnen jemals jemand etwas geschenkt, was Sie so berührt hat?«
»Eigentlich nicht, nein«, sagte sie, und jetzt liefen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen. »Nicht, seit ich das Original bekommen habe.«
Aha, Kitty war also auf der richtigen Spur.
»Dann waren Sie also nicht ganz ehrlich, als Sie mir erzählt haben, My Little Pony wäre das beste Geschenk gewesen, das Ihnen jemals jemand geschenkt hat«, stellte Kitty leise fest.
Eva lachte kurz und schüttelte den Kopf. »Sorry. Aber ich glaube, das wussten wir beide.« Sie holte tief Luft und sah Kitty prüfend an. »Darüber dürfen Sie aber nicht schreiben, Kitty, denn es sind auch andere Menschen daran beteiligt.«
Kitty nickte. »Ich gebe Ihnen mein Wort.«
»Schreiben Sie nur das, was Sie schreiben müssen, damit es einen Sinn ergibt.«
Kitty verstand vollkommen.
»Es war Weihnachten, und meine Mutter und ich haben gewartet. Das Essen stand schon auf dem Tisch, ich erinnere mich noch, wie es roch. Köstlich. Meine Mutter legte großen Wert auf ein traditionelles Weihnachtsessen – ein Essen nach ihrer Tradition. Mein Vater kommt aus Shanghai. Er betreibt ein chinesisches Take-away in Galway. Jedenfalls kam er zwei Stunden zu spät, und, na ja, wir hatten Hunger, und ich weiß noch, wie meine Mutter mich angesehen hat. Sie hat es nicht ausgesprochen, aber es war fast so, als würde sie mich fragen, was wir tun sollten. Meine Mutter hat ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie man sein muss, zumindest kam es mir damals immer so vor. Ich konnte ihr nicht direkt sagen, was ich dachte, denn dann machte sie das Gegenteil – es war wie umgekehrte Psychologie, man musste auf eine ganz bestimmt Art reagieren, damit sie dachte, sie würde die Entscheidung selbst treffen, und das war dann richtig für sie. Sie begann also schließlich, den Truthahn aufzuschneiden, und er roch so gut, obwohl er völlig verkocht war und außerdem schon viel zu lange herumstand. Ich schaufelte mir Gemüse auf meinen Teller und konnte einfach nicht mehr warten, ich musste etwas davon essen. Als ich gerade den ersten Bissen im Mund hatte, hörte ich den Schlüssel in der Tür, und ich wäre am liebsten tot umgefallen. Ich konnte nicht schlucken, ich konnte den Bissen nicht ausspucken. Meine Mutter schnitt immer noch an dem Truthahn herum, ein Stück für sich selbst. Und dann kam mein Vater ins Zimmer – ich konnte ihn riechen, bevor ich ihn sah, und als er merkte, dass wir ohne ihn mit dem Essen begonnen hatten, wurde er wütend.
›Du kommst gerade rechtzeitig‹, sagte meine Mutter fröhlich, daran kann ich mich noch genau erinnern. Ihre Stimme klang viel zu fröhlich. Und mein Vater wusste, dass wir nicht vorgehabt hatten, auf ihn zu warten. Er drehte sich um, ging ins Nebenzimmer und trampelte alle Geschenke kaputt, zertrümmerte die Porzellanpuppe, die ich bekommen sollte, warf den Weihnachtsbaum um, riss die Lichterkette herunter, so dass sie auf den Tisch knallte und das schöne Holz zerkratzte. Dann riss er noch das Porzellan aus der Vitrine und zertrümmerte es auf dem Boden, bis nur noch Scherben übrig waren.«
Eva schluckte.
»Dann stürzte er sich auf meine Mutter. Es war nicht das erste Mal, aber sie hatte noch das Tranchiermesser in der Hand – und irgendwann steckte es in ihrem
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