Hundert Namen: Roman (German Edition)
bleiben.
»Und glauben Sie an seine Verschwörungstheorien?«
»Ich glaube, dass Constance Dubois jemand mit unglaublichem Weitblick war, wenn es um neue und interessante Entwicklungen ging. Zwanzig Jahre bevor das Thema in der öffentlichen Diskussion auftauchte, hat sie erkannt, dass Dr. Carberrys Studien für ein breites Publikum von Interesse sind, und jetzt gehört er zu den weltweit führenden Köpfen auf dem Gebiet der Homöopathie und New-Age-Medizin. Viele Schulmediziner stimmen übrigens mit seinen Überzeugungen überein, deshalb glaube ich, dass man seinen Erkenntnissen unbedingt Beachtung schenken sollte.«
Caroline öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber jetzt riskierte Kitty alles, sprang mitten in den Verkehr, hoffte, dass die Autos rechtzeitig auf die Bremse drücken würden, und kam ihr zuvor.
»Aber deshalb bin ich nicht hier«, fuhr sie mit fester Stimme fort. »Mit Dr. Bernard Carberry habe ich nichts zu tun, ich arbeite in einer anderen Abteilung. Meine Mentorin und Freundin Constance Dubois hat wieder einmal ihren enormen Scharfsinn bewiesen und eine Person gefunden, die wichtig ist für ihre Mitmenschen, eine Person, über die unsere Nation lesen sollte, einen inspirierenden, warmherzigen Menschen, der uns eine lange und wundervolle Geschichte zu erzählen hat. Und Ihre Mutter – und Großmutter – hilft mir zurzeit bei meinem Beitrag.«
Auf einmal merkte Kitty, dass es ihr nicht nur darum ging, Birdies Familie einen Tritt in den Hintern zu versetzen, sondern dass sie das, was sie sagte, vollkommen ernst und ehrlich meinte. Es machte nichts, dass sie das verbindende Element zwischen den Menschen, die sie bisher kennengelernt hatte, noch nicht gefunden hatte, ihre Geschichten an sich interessierten sie. Plötzlich merkte sie, dass alle sie schweigend anstarrten. Verwirrt schaute sie erst zu Birdie und dann wieder zu den anderen, unsicher, worauf sie warteten.
»Spannen Sie uns doch nicht so auf die Folter«, brach Caroline schließlich das Schweigen. »Über wen schreiben Sie denn nun?«
»Aber …« Stirnrunzelnd drehte Kitty sich zu Birdie um. Die Wangen der alten Frau hatten sich gerötet, sie hatte die Augen gesenkt und schaute hinunter auf ihren Rocksaum. Kitty hatte doch klar und deutlich gesagt, über wen sie schrieb! Zorn erfüllte ihr Herz. »Ich bin wegen der gleichen Frau hier, wegen der Sie auch alle hier sind«, rief sie und ergriff Birdies Hand. »Um Zeit mit dieser wundervollen Frau zu verbringen.« Und als die Familie immer noch nicht begriff, rief sie: »Ich schreibe über Ihre Mutter!«
»Was Sie da für Birdie getan haben, war sehr nett von Ihnen«, sagte Molly, als Kitty sich an diesem Abend auf den Heimweg machte. Sie hatten lange draußen in der Sonne gesessen, Kitty hatte Birdie noch mehr Fragen über ihr Leben gestellt, hatte ein wenig tiefer gegraben, war ein bisschen persönlicher geworden, denn jetzt kannten sie sich ja schon viel besser, und Birdie lernte ihr allmählich zu vertrauen. Kitty fand, dass sie einen guten Einblick in Birdies Leben bekommen hatte, über ihre Kindheit und Jugend in dem kleinen Dorf, in dem ihr Vater Schuldirektor und einziger Lehrer gewesen war. Ohne die Zuwendung einer Mutter war Birdies Leben streng reglementiert verlaufen, jedoch nicht ohne Liebe. Ihr Vater hatte sich um die Familie gekümmert, so gut er es eben konnte, auch wenn seine Liebe keine körperliche Nähe beinhaltet hatte: kein Gutenachtkuss, kein zärtliches Flüstern, keine Koseworte. Birdie kam aus einer prominenten Familie des Dorfs, und als Tochter des Schuldirektors hatte sie ein gewisses Pflichtgefühl und spürte die in sie gesetzten Erwartungen. Doch sie war so bald wie möglich nach Dublin gezogen. Sie war klug genug gewesen, keinen Mann vom Typ ihres Vaters zu heiraten. In dem Verwaltungsbeamten Niall Murphy hatte sie einen freundlichen und unterstützenden, aber traditionell gesinnten Ehemann gefunden, und die beiden hatten eine Familie von Ärzten gegründet.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Kitty, die sich über Mollys Bemerkung freute.
»Das wissen Sie doch«, erwiderte Molly. »So was spricht sich hier rasch herum.«
»Ich hab es ernst gemeint, wissen Sie. Birdie ist eine interessante Frau.«
»Und das ist noch schwer untertrieben.«
Dieser Kommentar interessierte Kitty, und sie wollte mehr darüber erfahren, was Molly von Birdie wusste. »Fahren Sie vielleicht zufällig zurück in die Stadt? Wollen wir uns ein Taxi teilen?«
»Ich muss
Weitere Kostenlose Bücher