Hundert Namen: Roman (German Edition)
hastig die Tür hinter sich. Die beiden Männer wechselten einen etwas niedergeschlagenen Blick und wandten sich dann Kitty zu.
»Okay.« Sie stellte ihren frischen Kaffee neben sich und griff zu Stift und Papier. »Ich kenne die Pressemitteilung nicht und bin aus einem völlig anderen Grund gekommen, aber es interessiert mich, was hier läuft. Wären Sie so nett, mich ein wenig zu informieren?«
Jedrek, offensichtlich der Wortführer des Ganzen, war nur zu gern bereit, ihr alles zu erklären.
»Ich stamme aus Polen, und mein Freund Achar aus Indien. Wir sind beide nach Irland gekommen, weil wir ein besseres Leben gesucht haben, und hier haben wir es gefunden. Leider haben wir, als SR Technics – die Firma, bei der wir angestellt waren –, aus Dublin weggezogen ist, unseren Job verloren. Es ist sehr schwierig für uns, wieder Arbeit zu finden.«
»Was haben Sie denn gemacht?«
»SR Technics ist ein Unternehmen der Flugzeugwartungsindustrie und ist spezialisiert auf die Instandhaltung der thermisch belasteten Bereiche von Leit- und Laufschaufeln bei Triebwerken großer Verkehrsmaschinen. Unsere Fabrik hatte ihren Standort am Flughafen von Dublin, aber dann hat das Unternehmen wichtige Verträge verloren, und wegen der hohen Betriebskosten gab es für sie in Irland keine Zukunft mehr. Aber für uns lag die Zukunft in Irland – unsere Familien sind glücklich hier, unsere Kinder gehen hier zur Schule, unser ganzes Leben ist hier. Achars Sohn ist ein Star im Hurling-Team für unter Vierzehnjährige – deshalb hat der Club uns auch erlaubt, heute die Halle zu benutzen.«
Achar sah stolz aus. Der Hausmeister des Clubs, der mit einem Schlüsselbund an der Tür stand, wirkte dagegen eher gelangweilt.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Kitty zu Achar.
»Danke.«
»Und …?«, versuchte Kitty ihn zum Kern seiner langen Rede zu lenken. »Wollen Sie eine Erklärung über Ihre Situation abgeben, oder …?« Natürlich ließen sie die Probleme dieser Menschen nicht unberührt, aber in ihrem Inneren stöhnte sie: Nicht schon wieder so eine Rezessionsproblematik, bitte nicht!
Die beiden Männer sahen sich an und dann wieder zurück zu Kitty. »Wenn Sie möchten, könnten wir …«, begann Jedrek unsicher. »Wenn Sie glauben, es würde helfen … aber wir sind eigentlich nur hier, um über unseren Rekordversuch zu sprechen.«
»Rekordversuch? Sind Sie Sportler?«
»Ja«, erwiderte Jedrek, beugte sich über den Tisch, und seine Augen strahlten. »Wir wollen mit dem schnellsten Zweimann-Tretboot-Sprint über hundert Meter ins Guinnessbuch der Rekorde kommen, und wir suchen Leute, die uns unterstützen, indem sie zuschauen und uns anfeuern. Dieses Land braucht solche positiven Geschichten, wir trainieren jeden Tag – soweit das eben möglich ist, weil Achar mit seinem Taxi oft so viel zu tun hat, und das seit neun Monaten. Der hiesige Yachtclub hat uns zur Unterstützung unserer Bemühungen ein Tretboot gespendet, und wir würden sehr gern diesen Rekord aufstellen. Wir haben Kuchenbasare organisiert, private Flohmärkte, alle möglichen Nachbarschafts-Events, aber leider haben wir bis jetzt nur vierhunderteinundzwanzig Euro und neun Cent gesammelt. Das reicht nicht, deshalb machen wir es alleine. Aber wir brauchen die Unterstützung der Menschen.«
»Wofür brauchen Sie das Geld?«
»Die Kosten für den Rekord-Überwachungsservice betragen zwischen viertausend und fünftausend Euro pro Tag, je nachdem, wo der Rekordversuch stattfinden soll. Wir müssten einen Rekordrichter aus London einfliegen lassen. Deshalb haben wir beschlossen, den Rekordversuch allein zu machen.«
»Aber es muss doch ein Rekordrichter dabei sein, oder nicht?«
»Nein, nicht unbedingt. Wir können den Rekordversuch machen und unsere Aufzeichnungen nach England schicken, aber dort behält man sich das Recht vor, den Rekord eventuell nicht anzunehmen.«
»Aber wir wissen von einem Rekordrichter, der diesen Donnerstag in Irland ist«, mischte sich nun auch Achar ein. »Ein Freund von uns, der in Cork arbeitet, hat uns nämlich gesagt, dass dort ein Rekordversuch stattfinden soll, bei dem ein Rekordrichter anwesend ist.«
»Aber darüber haben wir doch schon gesprochen, Achar«, unterbrach ihn Jedrek. »Wir können einen Rekordrichter nicht einfach überfallen und auch noch zu einem anderen Rekordversuch schleppen. So funktioniert das nicht.«
»Aber ich finde, wir sollten es wenigstens versuchen, Jedrek.«
Einen Moment starrten sie
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