Hundert Namen: Roman (German Edition)
aufgeregt!«
Aus dem Häuschen vor Aufregung? Kitty spürte nur Traurigkeit, wenn sie an die arme Sechzehnjährige dachte, die bald ihre Mutter verlieren würde.
»Ich weiß, ich bin auch aufgeregt«, lachte Diane. »Und ich kann mir gar nicht erklären, warum Tanyas Dad und ich das nicht schon viel früher gemacht haben!«
»Halten Sie denn auch eine Rede?«, erkundigte sich Mary-Rose, und Kitty fragte sich, warum ihr solche Fragen einfach nicht einfielen. Sie war Journalistin, da musste sie doch imstande sein, interessante Fragen zu stellen. Aber in ihrem Kopf herrschte gähnende Leere – und das nicht erst seit heute.
Eine Haarsträhne nach der anderen wurde von Mary-Rose abgeteilt, gezwirbelt und so festgesteckt, dass die Haare seidig, dicht, wunderschön und gesund aussahen. Es war faszinierend, ihr bei der Arbeit zuzuschauen.
»Wenn ich kann, halte ich eine Rede«, beantwortete Diane Mary-Roses Frage. »Und Tanya möchte auf jeden Fall etwas sagen.«
»Sie ist ein tapferes Mädchen.«
»Das tapferste, das ich kenne.« Schweigen trat ein, aber gerade als Kitty begann, sich unbehaglich zu fühlen, lachte Diane und sagte: »Stellen Sie sich vor, Tanya hat einen Sarg mit mir ausgesucht.«
Mary-Rose lachte ebenfalls. »Hoffentlich einen hübschen.«
Kitty blieb die Luft weg.
»Anscheinend gibt es seit neuestem sogar personalisierte Särge, die man thematisch nach Wunsch gestalten kann, mit dem Wappen des Fußballvereins und solchem Zeug.«
»Und wofür haben Sie sich entschieden?«
»Na ja, Tanya wollte, dass ich den mit dem Sonnenuntergangsmotiv nehme – Meer, Palmen, Strand. Früher bin ich gern gesurft, wissen Sie.«
»Das klingt sehr schön.«
»Aber viel zu gut zum Verbrennen«, scherzte Diane. »Ich werde eingeäschert.«
»Man könnte Sie ja einäschern und den Sarg behalten«, sagte Mary-Rose, und die beiden Frauen prusteten vor Lachen.
Kitty traute ihren Ohren nicht. Wie konnte man über den Tod Witze machen? Sie war zutiefst schockiert.
»Oh, hören Sie auf!« Diane rieb sich die Augen. »Sonst ruinieren Sie mir noch mein Make-up.«
»Macht nichts, das krieg ich schon wieder hin«, erwiderte Mary-Rose. »Übrigens hatte ich mal eine Kundin, die hat sich einen dunklen Eichensarg ausgesucht, weil sie meinte, er bringt ihre Augenfarbe am besten zur Geltung.«
Und schon lachten sie wieder los.
In diesem Moment ging die Tür auf, und eine Schwester führte die Brautjungfer herein.
»Oh, Schätzchen!« Sofort hörte Diane auf zu lachen und betrachtete ihre Tochter, die zur Feier des Tages ein einfaches, aber wunderhübsches Kleid trug. »Du siehst so schön aus.«
»Ach, hör auf, Mum«, wehrte Tanya verlegen ab. »Heute wird nicht geweint, erinnerst du dich?« Dann ging sie zu ihrer Mutter und umarmte sie. Mary-Rose unterbrach ihre Arbeit sofort, trat rasch einen Schritt zurück, und Kitty folgte ihrem Beispiel. Erst als Mutter und Tochter sich tränenüberströmt wieder losließen, fuhr Mary-Rose mit dem Frisieren fort, arbeitete schweigend und flink, fast so, als wäre sie unsichtbar.
»Nur noch diese hier«, sagte sie schließlich und griff nach der letzten Nadel. Sie drehte die Haarsträhne um den Finger und steckte sie gekonnt so fest, dass die Nadel nicht zu sehen war.
»Wow«, sagte Kitty bewundernd.
»Ich möchte mich anschauen«, rief Diane aufgeregt.
»Halte doch bitte mal den Spiegel«, sagte Mary-Rose zu Kitty. Dann stellte sie sich mit dem zweiten Spiegel vor Diane, damit sie sich von allen Seiten bewundern konnte.
»Wunderschön«, flüsterte sie.
»Mum«, warnte Tanya.
»Ich werde schon nicht …«, beteuerte Diane und strengte sich sichtbar an, nicht zu weinen. »Aber es sieht aus wie …«
»Wie denn?«, hakte Mary-Rose nervös nach.
»Wie früher.«
Und da verstand Kitty endlich.
Sie sahen alle, wie Dianes Gesicht sich veränderte, aber es war schwer zu erraten, was sie dachte – wer in aller Welt konnte wissen, was einem Menschen zu so einem Zeitpunkt durch den Kopf ging? Niemand. Außer Mary-Rose anscheinend.
»Aber das sind nicht Sie«, stellte sie zu Kittys Überraschung nüchtern fest.
Diane sah sie ebenfalls überrascht und dann fast entschuldigend an.
»Ist schon okay, wir verzichten einfach darauf.«
»Aber die ganze Arbeit!«
»Vergessen Sie die Arbeit, heute ist Ihr Tag. Soll ich?«
Diane sah zu Tanya hinüber.
»Ich finde, dass du toll aussiehst, Mum, aber es ist deine Entscheidung.«
Diane dachte angestrengt nach. »Ich glaube
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