Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
Vom Netzwerk:
daran gehalten. Man sah ihn so gut wie nie im Koordinationsbüro, aber es war allen klar, wie wenig er von unserer Arbeit hielt. Er wusste genau über uns Bescheid, wir hingegen wussten wenig über seine Arbeit. Manchmal nannten wir ihn auch den Unsichtbaren, und offensichtlich pflegte er die Aura des Geheimnisvollen. Er wohnte an der Rue de l’armée in der alten Residenz des Botschafters, der vor einigen Jahren Kigali verlassen hatte, und die einzige Extravaganz, die er sich leistete, war die rote Lackierung seines alten Mazdas.
    Paul stellte mich Jeannot vor. Das Jungholz, sagte er, gut im Wuchs, aber ungeschnitten. Jeannots lippenloser Mund zuckte mit keiner Faser. Er musterte mich durch seine riesigen Gläser, echsenartig, eine Sekunde bloß, dann schien er mich eingeordnet und taxiert zu haben. Wir wollen den neuen Geschäftsführer nicht warten lassen, meinte er, worauf der kleine Paul zum Wagen lief und ich mit Jeannot die letzten Meter zu Fuß zurücklegte. Adminstrator also, sagte er dann, und ich wusste nicht, ob es eine Frage war. In diesem Augenblick kamen uns zwei Männer entgegen, vielleicht Geschäftsleute, vielleicht Beamte, jedenfalls in Anzug und Krawatte. Der eine sprach auf den anderen ein, der aber nicht zuzuhören schien, sondern starr in unsere Richtung blickte. Als wir auf gleicher Höhe waren, knuffte er den Redenden in die Seite, worauf dieser begriff, an wem sie gerade vorbeigingen. Aus einer Kehle grüßten die beiden den Herrn Doktor. Jeannot nickte bloß.
    Paul hatte den Wagen vor das Gebäude der Einkaufsgenossenschaft gestellt, war ausgestiegen und wartete nun in Sichtweite auf uns. Da blieb Jeannot plötzlich stehen, ich machte zwei, drei Schritte, bevor ich bemerkte, dass der Mann nicht mehr neben mir war. Ich drehte mich um, ging einen Schritt auf den Präsidentenberater zu, worauf sich dieser in Bewegung setzte und ich nun meinerseits hinter ihm herlief. Ich habe gehört, Sie interessieren sich für Gemüseanbau? Fein, auch ich habe einen Garten. Manche Böden in Kyovou sollen verseucht sein, und wer weiß, was für Früchte eine Pflanze austreibt. Seien Sie also auf der Hut, mein Freund, seien Sie auf der Hut.
    Wir gingen zur Amtseinführung des neuen Geschäftsleiters, der sechste in wenigen Jahren, einer unfähiger als der andere, aber umso loyaler zum Präsidenten. Die Einkaufsgenossenschaft war in den fünfziger Jahren von einem belgischen Präsidenten gegründet worden. Der Handel wurde damals von den Europäern und den Pakistani beherrscht, aber diese Leute betrogen die Bauern, zahlten schlecht, und das Ziel der Genossenschaft war, den Bauern vernünftige Preise zu zahlen und die Waren mit einer geringen Marge an die Konsumenten zu verkaufen. Bald nach der Ankunft übernahm die Direktion die Genossenschaft, und über die Jahre wurde sie zum wichtigsten Unternehmen des Landes. Wir kauften einen Großteil der Kaffeeernte des Landes, unsere Waren hatten im ganzen Land denselben Preis, in der Hauptstadt wie im entlegensten Winkel des Landes. Wir hatten eine eigene Schule, und unsere Zeitung war die meistgelesene im Land. Und wir hatten fünfhundert Angestellte. Nach Habs Putsch gab es bald Probleme, die Regierung setzte die Leitung unter Druck und gewann immer mehr Einfluss. Der Finanzdirektor wurde verhaftet, wohl aus politischen Gründen, und sie setzten einen genehmen Direktor ein, der keine Ahnung von Lagerbewirtschaftung und noch weniger von Finanzbuchhaltung hatte. Unsere Experten spielten nur noch die Rolle von Beratern, aber wir blieben der Genossenschaft treu. Schossen Geld zu, wenn die Löhne nicht gezahlt werden konnten, und als ein neues Geschäftszentrum benötigt wurde, überwiesen wir ihnen sieben Millionen Franken für ein Verwaltungsgebäude, eine neue Bibliothek, eine neue Kantine, Werkstätten.
    Aber die Lage verbesserte sich nicht. Der Neubau war viel zu groß geraten, und die Zinsen brachten die ohnehin schon schlingernden Finanzen endgültig aus dem Gleichgewicht; die Direktoren wechselten im Jahrestakt. Keiner kümmerte sich um den Markt. Die Konkurrenz hatte nicht geschlafen und bot bessere Waren zu einem billigeren Preis an. Na ja, über die Jahre steckten wir dreißig Millionen in die Genossenschaft, und immerhin boten die Direktorenwechsel Marianne und Jeannot die Gelegenheit zu geschwollenen Reden über die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern.
    Ich aber ging gleich nach den Festlichkeiten nach Hause, holte im Schuppen Machete und

Weitere Kostenlose Bücher