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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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die Sünde noch vergrößerte.
    Ich verstand das nicht. Ich hatte eine Menge Gedanken, die ich mir nur zu bestimmten Gelegenheiten erlaubte, und im Grunde war es genau diese Scham, die Furcht, ein Perverser zu sein, was mich daran interessierte. Mich erregte die eigene Empörung, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ohne Scham überhaupt hätte funktionieren sollen. Manchmal glaubte ich, mein Schwanz und die Schwellkörper darin seien nicht mit Blut, sondern mit Scham gefüllt. Ich musste ein Schwein sein, ein Wüstling, denn weshalb hätte ich vögeln sollen, wenn vögeln nicht verdorben war? Warum hätte ich Agathes Hintern begehren sollen, wenn ihr Anus nicht das Tor zur Lästerlichkeit gewesen wäre? Einmal, an einem Samstag, als Erneste das Haus besorgte, stiegen wir in meinen Toyota, nahmen den Weg hinter dem Cercle sportif und stellten nach einem halben Kilometer den Wagen hinter eine Hecke, was ein verdammter Leichtsinn war, der uns Kopf und Kragen hätte kosten können. Hinter jeder Bananenstaude konnte ein Bauer stehen, und am nächsten Tag hätte es ganz Kigali gewusst. Aber wir taten es trotzdem. Mich erregten die Gefahr und die Beengtheit auf dem Rücksitz; wir mussten unsere Arme und Beine in eine bestimmte Lage bekommen, aus dem Weg räumen. Agathe schrie, ich hielt ihr den Mund zu, und als es vorbei war, wischte sie sich sauber, ordnete die Kleider – und verlor kein weiteres Wort mehr über den Wahnsinn, zu dem sie ihre Lust verleitet hatte.
    Während wir zurückfuhren, beobachtete ich sie durch den Rückspiegel, haschte nach einem Zeichen, einem Augenzwinkern, einer Mundbewegung, ich wollte sie zur Komplizin der Verdorbenheit haben, aber für sie war die Entscheidung, es im Wagen zu treiben, allein die Folge einer organisatorischen Zwangslage, so wie man ein anderes Restaurant sucht, wenn im ersten alle Tische besetzt sind. Wir wollten vögeln. Haus Amsar war belegt. Also vögelten wir im Wagen. Und das war alles.
    Ich war enttäuscht und begann mich zu fragen, ob es womöglich einen Genuss in der Sache selbst geben könnte, in der Verbindung unserer Sekrete, der Berührung meines Schwanzes mit den Wänden ihrer Körperöffnungen. Diese Berührungen waren ohne Frage angenehm, aber alles in allem tat ich es gewiss nicht der Schleimhäute wegen. Das alles ließ es uns nicht weniger treiben, aber ich sehnte mich nach den Momenten, in denen ich alleine sein und über das Vögeln nachdenken konnte, nicht über den Akt an sich, mehr über Agathe – nicht über sie als Mensch, als Frau, sondern als Kind dieses Landes. Ich war stolz auf mich und meinen Schwanz. Wir hatten das Kaff unserer Herkunft verlassen, waren ausgezogen, um alle Hindernisse der Herkunft und der kulturellen Unterschiede zu überwinden. Keine Vorurteile hatten uns aufgehalten, wir waren geradewegs unserer wahren Bestimmung gefolgt, der Jagd nach der weiblichen Möse. Das war es, was die Natur für uns vorgesehen hatte. Ich sollte dieses Geheimnis ergründen, aber bis jetzt war ich kaum dazu gekommen, mir Agathes Scham in Ruhe anzusehen.
    Oft lag ich auf dem Sofa und versuchte, sie mir vorzustellen, immer erfolglos, die Vulva war ein Bermudadreieck, in dem meine Gedanken auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Ich machte mir natürlich eine gewisse Vorstellung, aber ich vertraute ihr nicht. Ich fürchtete, ich sähe eine andere als Agathes Möse, eine aus den Magazinen, die wir als Jungen in der Altpapiersammlung gefunden hatten. Ich begann dann, Agathe vom Kopf her zusammenzusetzen, tastete mich von den Haaren abwärts. Das Gesicht und der Hals erschienen deutlich, auch die gesprenkelten Brustwarzen und den süßen spitzen Bauch kriegte ich hin, aber dann wurde die Orientierung undeutlich, eine Nebelbank zog vor meine Vorstellung. Noch erkannte ich den Bauchnabel, der anders war als alle Bauchnäbel, die ich je gesehen hatte, ein knubbeliger Knoten, der heraushing, weil die Hebamme ihn mit einem Stück Holz abgetrennt hatte, das Agathe als Glücksbringer um den Hals trug und niemals ablegte. Dann erschienen in weiter Entfernung die Ansätze des sanft behaarten Hügels, undeutlich die krausen Büschel, die einem abgebrannten Stoppelfeld glichen – und dann war Schluss. Weiter kam ich nicht, und ich nahm mir jedes Mal vor, das nächste Mal einen genauen Blick auf ihre Anatomie zu werfen.
    Aber wenn wir zusammen waren, war ich viel zu beschäftigt mit Liebkosungen, mit der Bewunderung der Perfektion, die ein Künstler geschaffen haben

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