Hundert Tage: Roman (German Edition)
Haue und rodete Ernestes Pflanzung, ohne Wut, ohne Hass, ich tat einfach, was nötig war. Ich grub den Maniok aus, schnitt die Tomaten, grub die Erde um, und ich wusste, dass ich nun ein richtiger Kooperant geworden war, einer, der die Zusammenhänge begriff und sich nicht Sentimentalitäten hingab. Vielleicht half dieses Gemüsebeet einer achtköpfigen Familie, aber gleichzeitig hätte es beinahe ein Waisenhaus verhindert. Als Erneste am nächsten Samstag mit einem Erntekorb erschien, rettete sie aus dem Haufen das Gemüse, das nicht verfault war, und ich ließ sie wissen, dass ich die Wiederherstellung der Rabatten erwarte.
Irgendwann in jenen Tagen, als wir uns an die neue Situation gewöhnt hatten, der Krieg weit weg war, kriegte ich Agathe endlich herum, und für mich begann das große Vögeln. Die hohe Zeit der Kopulation, der Schmusereien unter der Dusche, mit den Spielen auf der Veranda, den kurzen Ficks von Sonntag früh, den ewig langen Bumsabenden, den Fummeleien auf der Veranda, den Zungenküssen auf der Couch. Agathe und ich hatten ein ganzes Haus zu bevögeln, fünf Zimmer und an die dreißig Möbelstücke, die alle als Unterlage geprüft werden mussten, und wir liebten jedes einzelne davon, gerade auch die Unbequemen, die Kommode mit der scharfen Kante, die Stühle mit dem pieksenden Sisalbezug. Ich liebte die kurzen Wortwechsel nach den ersten Bewegungen, die Versicherung, sich nicht gegenseitig die Haut von den Knochen schürfen zu wollen, diese vernünftigen Gesprächsfetzen mitten in der Ekstase. Es gab mir die Vergewisserung, dass Agathe bei vollem Bewusstsein war, ihr Begehren trotz allem vernünftig blieb und durchdacht, und diese kleinen »Geht es?« und »Mach weiter« und »Aber streich erst die Falte aus dem Teppich, es drückt mich« und »Wahrscheinlich krieg ich einen Krampf, egal«, diese technische Konversation, den Verweis auf die Unzulänglichkeit und Schmerzempfindlichkeit unserer Körper erinnerten mich daran, dass wir ineinandersteckten, uns festhielten, verloren waren in unserer Körperlichkeit, die vorgab, Lust zu schenken, aber im Grunde nur ein Hindernis war, eine Begrenzung der Ekstase, für die unsere Leiber das Mittel waren, aber nicht der Zweck.
Egal wie oft wir uns liebten, oder wie nackt wir uns einander auslieferten, in mir blieb ein Rest von Scham übrig. Für Agathe schien der Akt nichts Verbotenes zu haben, anrüchig höchstens, weil wir nicht verheiratet waren. Sie liebte, wie sie aß: um ein Bedürfnis zu stillen, für das sie keine Verantwortung trug, das einfach da war und schrie, wie ein Baby schreit, um das man sich zu kümmern hat. Für mich war das Erschreckendste, dass Agathe dieses Bedürfnis genau zu kennen schien. Sie wusste, was sie wollte, und auch in meinem Begehren lag für sie keinerlei Geheimnis. Ich war ein offenes Buch, das sie lesen oder weglegen konnte, es lag ganz an ihr selbst. Meine dunklen Wünsche, die Epiphanien der Lust lagen für sie offen zu Tage, vollständig und von allen Seiten einsehbar. Diese Offenheit beunruhigte mich, denn ich selbst hatte keine Ahnung, wonach mein Inneres schrie. Ich wusste nicht einmal, ob es nicht besser gewesen wäre, es einfach winseln zu lassen. Ich fürchtete, je mehr ich es fütterte, umso lauter könnte es schreien, und vielleicht wäre es auf Dauer klüger gewesen, es mit Missachtung zu bestrafen und aushungern zu lassen. Aber wenn ich Agathe sah, den Silberglanz auf ihrer Haut, ihre Lippen und das kalbfleischfarbene Zahnfleisch, dann musste ich meine Zunge darüber fahren lassen, und wenn ich sie dann küsste, dann wollte ich sie anfassen, und wenn ich dann ihre Brüste, den Hintern, den Nacken berührte, dann wollte ich sie vögeln, mein Ding in Agathe pflanzen, was immer sie ihm anbot, und wenn ich dann hinter ihr war oder unter Agathe lag, dort wo meine Lust mich hingebracht hatte, dann wusste ich nicht mehr, was ich noch hätte wollen können, aber ich spürte, dass ich nicht am Ziel war. Agathe leistete keinen Widerstand, was nicht bedeutete, dass sie alles geschehen ließ. Wenn sie eine gewisse Stellung nicht mochte, sagte sie nicht einfach nein, sondern bot mir eine Alternative an, und alles schien dasselbe zu sein, der Finger im Hintern nicht verdorbener als ein Kuss auf die Lippen. Es gab für sie nichts Unziemliches jenseits der moralischen Übertretung, sich als Unverheiratete hinzugeben, und da wir uns schon über die Moral erhoben hatten, bereits Sünder waren, konnten wir nichts tun, das
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