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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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und wenn es jetzt gerade in Mode komme, den Präsidenten zu kritisieren, dann wollte er darauf hinweisen, dass er diesen Krieg nicht gewollt habe. Er hat dem Land gute Jahre geschenkt, meinte er verbittert. Und jetzt, was wird jetzt kommen. Parteien werden zugelassen? Großartig. Haben Sie sich die Leute dieser sogenannten Oppositionsparteien einmal angesehen? Ich glaube nicht, dass Sie und ich oder irgendjemand sonst die Arbeit erfolgreich weiterführen können, wenn einer dieser Käuze an die Macht kommen sollte.
    Obwohl die neue Verfassung noch nicht verabschiedet war und Parteien im Grunde verboten waren, hatten sich alle möglichen Clubs gebildet. Unter den Leuten, die eine politische Karriere anstrebten, gab es bestimmt einige ehrenhafte Leute, aber genauso viele besaßen einen bestenfalls zweifelhaften Ruf. Einer der Führer der Liberalen Partei war ein verurteilter Mörder, der seine Frau umgebracht hatte und nur deshalb frei herumlief, weil der Präsident ihn begnadigt hatte. Gegen ihn liefen Verfahren wegen Veruntreuung von staatlichen Geldern, und es war wahrscheinlich, dass er den politischen Einfluss nur dazu nutzen wollte, seine Schulden nicht begleichen zu müssen. Ein anderer, der ein humanistisches Pamphlet verfasst hatte, in dem er die Regierung der Korruption, der Misswirtschaft und der Unfähigkeit bezichtigte und das in der Gemeinde der Entwicklungshelfer herumgereicht und eifrig diskutiert wurde, war eines Tages plötzlich verschwunden, man glaubte schon, er sei ermordet worden. Bis man hörte, er lebe in Kenia, wo er das Geld seines Geschäftspartners durchbringe. Und die anderen, die mit einem tadellosen Leumund, waren Leute, die sich vom Präsidenten übergangen fühlten und sich mit ihrer politischen Arbeit für die unterbliebene Beförderung rächen wollten.
    Die Weltbank hat die Regierung gezwungen, die Währung um vierzig Prozent abzuwerten, sagte Paul, der Kaffee bringt weniger als Kuhmist, eine wild gewordene Söldnerbande zettelt einen Krieg an, und statt sich wie ein Mann an die Seite des Präsidenten zu stellen, intrigieren diese Schufte und richten ein noch größeres Chaos an. Demokratie? Ein schönes Wort, aber es geht ihnen nicht um Demokratie. Es geht ihnen nur darum, sich zu bereichern.
    In jener Zeit begann er auch, Fliegen mit der Hand zu fangen, nicht etwa totzuschlagen, sondern sie mit der offenen Hand zu fangen, das heißt, er versuchte es, denn sooft er in meiner Gegenwart einen Versuch unternahm, misslang er ihm. Er war einfach zu langsam für die Fliegen, aber alleine die Versuche bewiesen, dass Pauls Entschlossenheit zurückgekehrt war und vor allem auch seine Geduld, denn er ließ sich von seinen Misserfolgen in der Fliegenjagd nicht beirren und versuchte es wieder und wieder. Sein Zorn legte sich. Irgendwann während des ersten Kriegsjahres sah er ein, dass er sich den Realitäten nicht entgegenstellen konnte, und spätestens als im Juni darauf die neue Verfassung in Kraft trat, die politische Parteien zuließ, war er wieder ganz der Alte.
    Nicht Marianne hatte ihn dazu gebracht, wieder an den Sinn seiner Arbeit zu glauben, es war Jeannot. Mittags aßen sie gemeinsam im Le Palmier, und der Berater redete auf ihn ein, erklärte, warum das Land gerade jetzt auf Leute wie den kleinen Paul angewiesen war. Er selbst, Jeannot, würde bleiben, auch wenn seine Arbeit immer unverhohlener kritisiert wurde. Er hatte die Verhandlungen mit der Weltbank geführt, die Bedingungen des Strukturanpassungsprogramms ausgehandelt, und keiner wusste, was er den Herren aus New York abgetrotzt hatte. Man hielt in der Bevölkerung nicht mehr viel auf unseren Rasputin, denn die Rosskur, die dem Land verschrieben worden war, traf alle. In der Zentrale diskutierte man über seinen Rückzug, gewissen Leuten schien seine Nähe zum Präsidenten nicht mehr hilfreich, aber Marianne und Paul schafften es, ihn für ein weiteres Jahr auf der Lohnliste zu behalten. Ich habe diesen Jeannot nie wieder zu Gesicht bekommen. Er blieb unsichtbar. Einmal forderte er uns auf, Hab und seiner Regierung eine Solidaritätsnote zukommen zu lassen, was wir ablehnten. Man hat nie herausgefunden, welche Rolle er tatsächlich spielte. Welchen Einfluss er auf Hab hatte, ob er verantwortlich war für die Politik, die immer extremer wurde. Jedenfalls war er gegen die Parteien, die in jenen Tagen auf Druck der internationalen Geldgeber gegründet wurden. Er war gegen die Langen, so viel war klar, gegen ihren Einfluss.

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