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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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Sicher ist nur: Er hat ein paar seiner besten Jahre und sein ganzes Wissen für den Machterhalt eines Diktators eingesetzt. Und wir haben sein Gehalt bezahlt.
    Das Land wollte die Demokratie, und wer war berufener als die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft, diesem Land die Spielregeln der Demokratie beizubringen? Der kleine Paul besann sich darauf, dass wir Dienstleister waren und es nicht an uns war, zu entscheiden, wessen ein Land bedurfte. Wir hatten diese wilden Leidenschaften, die Passionen, die Bedürfnisse, diesen Hunger nach Streit lediglich in geordnete Bahnen zu lenken, und welche Möglichkeit war besser als den Leuten zu zeigen, wie man eine ordentliche Radiostation betreibt, ihnen hilft, dem Wachhund der Demokratie Zähne zu verleihen?
    Wir waren Feuer und Flamme, als der Minister für Information bei uns vorsprach. Ferdinand war ein weltgewandter Historiker mit Abschlüssen an der Sorbonne, einer der besten Kenner der Geschichte des Landes. Er war ein
Intiti
, einer, der in Europa studiert hatte, keiner von den Betonköpfen, die nie über Kigali und ihre Beamtenstube hinausgekommen waren. Aber die Idee kam nicht von ihm, sie stammte von ganz oben. Von Hab. Irgendwann um die Jahreswende traf er sich mit unserem Botschafter: Die Regierung wünschte Unterstützung in Sachen Informationspolitik, sie war entrüstet über die Manipulationen in den internationalen Medien. Und wir waren es auch. Habs Regierung wurde ungerecht dargestellt. Nachdem man in ihm jahrelang den Garanten für Recht und Sicherheit angesehen hatte, war er plötzlich auf die Stufe der üblichen Diktatoren herabgesunken. Nicht alles lief gut, zugegeben, aber das Regime hatte eine bessere Presse verdient.
    Im April, dem siebzehnten Kriegsmonat, mitten in der Regenzeit, kam Ferdinand ins Koordinationsbüro. Der Regen fiel, als würde jemand im Himmel Swimmingpools fluten, ein durchgängiger Vorhang aus Wasser. Es war eine kleine Delegation, der Informationsminister, sein Rundfunkchef, drei untergeordnete Beamte, bescheidene, zurückhaltende, diskrete Menschen mit leisen Stimmen und gepflegtem Französisch, die Anzüge trugen, keineswegs exaltiert, es waren sogar ziemlich abgetragene Anzüge, an den Ellbogen ausgebeult, einige hatten gar Flicken; sie waren nicht, was man wie aus dem Ei gepellt nennt. Aber wir Leute von der Direktion waren das auch nicht. Es gab in Kigali keine Boutiquen. Die Kollegen besorgten sich die Garderobe über den Versandhandel, und oft saß eine Hose nicht. Das Paket den ganzen langen Weg nach Europa zurückzuschicken war zu teuer, und so trug man das unpassende Teil trotzdem.
    Es war gemütlich in der Botschaft, in diesem Bau, der ein Bruder von Onkel Dagoberts Geldspeicher hätte sein können, ein Würfel, mit roten Stahlpaneelen verkleidet und Fenstern, die Schießscharten glichen. Das Licht fiel nur spärlich in das Sitzungszimmer im ersten Stock, aber wir verzichteten darauf, die Lampen anzuschalten. So saßen wir im Düsteren, erkannten kaum eine Regung in den schwarzen Gesichtern am anderen Ende des Tisches, aber die Stimme, die wir hörten, war sanft und freundlich und demütig. Ferdinand war ein äußerst höflicher Mensch, zurückhaltend, bescheiden, er wählte seine Worte mit Bedacht und stellte keine Forderungen. Er zeigte Probleme auf, und gleichzeitig skizzierte er Möglichkeiten, diesen Problemen zu begegnen. Die Leute aus der Delegation betonten, dass sie alles besser machen wollten, und sie trafen immer genau den richtigen Ton. Sie hatten den Willen, alleine die Mittel fehlten. Wir verweigerten ihnen selten etwas. Wenn das Budget es zuließ, bekamen sie das Geld. Er war immerhin der Minister. Einige Jahre zuvor hatte es bereits eine Zusammenarbeit zwischen den Landessendern gegeben, junge Journalisten aus Kigali waren in die Schweiz gereist, ausgerüstet mit einem Stipendium der Direktion. Jetzt sollte diese Zusammenarbeit wieder aufgenommen werden. Die Journalisten waren guten Willens, aber es fehlte ihnen an Ausbildung, an den Grundlagen ihres Berufes. Gab es Wichtigeres als eine freie Presse?
    Wir ließen deshalb einen Journalisten aus der Schweiz kommen, einen kleingewachsenen Mann, mit dichtem Haarwuchs, schrägen Augen und der Angewohnheit, den obersten Knopf seines Jacketts in das unterste Knopfloch zu knöpfen. Wir bezahlten ihm die Reise, zwei Wochen Aufenthalt im besten Hotel des Landes, wir bezahlten ihm ein Honorar, das ein hiesiger Arbeiter

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