Hundert Tage: Roman (German Edition)
nicht in vier Jahren verdiente. Nach zwei Wochen verfasste er einen Bericht mit Empfehlungen, wie die Sendungen verbessert werden konnten. Ferdinand und seine Leute machten sich augenblicklich an die Umsetzung. Die Sendungen klangen nun lebendiger, sie spielten Musik, und sie erzählten uns, dass sie die Regierungserklärungen nun nicht mehr einfach im Wortlaut verlasen, sondern sie kritisch kommentierten. Wir waren zufrieden und glaubten ihnen, denn eine Möglichkeit, die Sache zu überprüfen, hatten wir nicht, war die Sprache der Sendungen doch jenes unerlernbare Bantuidiom.
Aber wie erfolgreich sie unsere Empfehlungen umgesetzt hatten, bemerkten wir erst, als kurz darauf Ferdinand entlassen wurde. Nicht etwa, weil Hab mit ihm unzufrieden gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Seine Leute hatten bloß ein wenig übertrieben, indem sie behaupteten, ein Komplott der Kakerlaken gegen führende Persönlichkeiten aufgedeckt zu haben, Politiker, Beamte, Wirtschaftsleute, vor allem Leute aus Bugesera.
Kurz darauf griffen die dortigen Bauern zur Selbstverteidigung, wie es genannt wurde, und erschlugen die mutmaßlichen Komplizen der Rebellen. Wir erfuhren davon aus einem Artikel der französischen Presse, in dem eine italienische Nonne, die seit zwanzig Jahren in der Gegend lebte und offenbar dieses geheimnisvolle Bantuidiom erlernt hatte, über aufhetzerische Reden in Ferdinands Radio berichtete. Kurz darauf seien Fremde angereist, es habe Versammlungen gegeben, auf denen Beamte der Zentralregierung die Bauern über einen jüngst aufgedeckten Plan der Kakerlaken unterrichteten. Sämtliche Kurzen sollten angeblich umgebracht, die Monarchie wieder eingeführt werden. Anschließend seien die Bauern ausgeschwärmt, um den Busch zu säubern, wie sie es nannten. Sie zerrten Männer, Frauen und Kinder aus den Häusern und brachten sie an Ort und Stelle um. Sie zündeten die Häuser an, stahlen das Vieh und zogen auf den nächsten Hügel, wo sie ihre Arbeit fortsetzten. Die Leichen warfen sie in Latrinengruben.
Der kleine Paul schüttelte den Kopf, als er mir den Bericht vorlas, aber weniger über die Gräuel und schon gar nicht über unseren Fehler, Ferdinand und seine Leute das Handwerk der effektiven Propaganda gelehrt zu haben. Er ärgerte sich über den Leichtsinn der Nonne, die sich mit vollem Namen zitieren ließ. Er sollte recht behalten. Drei Tage später war die Nonne tot. Man hatte sie mit zwei Kugeln erschossen, je eine in den geschwätzigen Mund und eine ins sorglose Herz.
Ferdinand hatte es etwas übertrieben, und Hab schickte ihn schweren Herzens zurück auf seinen Professorenposten in Butare. Doch offenbar hatte dieser kluge Mann genug über die Macht eines ordentlichen und populären Radios gelernt, und so gründete er bald darauf seine eigene Station, wo die Moderatoren nun ungehemmt ihre Ansichten über die Kakerlaken und ihre Verbündeten verbreiten konnten. In den hundert Tagen habe ich manchmal die Station eingeschaltet, und die paar Brocken, die ich von Agathe gelernt hatte, reichten, um die Mordaufrufe zu verstehen, die Namenslisten, die verlesen wurden, die Aufforderungen, nur nicht nachzulassen mit der Arbeit, noch seien nicht alle Kakerlaken vernichtet, noch seien die Gräber nicht gefüllt. Sie hatten die Lektion gelernt. Die Sendungen waren unterhaltsam, sie spielten Musik, brachten kleine Sketche, in denen sich zwei scharfsinnige Bauern über die Dummheit der Inkotanyi ausließen. Gut, es war nicht unsere Absicht gewesen, die Völkermörder das Handwerk zu lehren, es war gewiss nicht unsere Schuld, wenn sie das Radio zu einem Mordinstrument machten, aber irgendwie wurde ich trotzdem nie das Gefühl los, einem sehr erfolgreichen Projekt der Direktion zu lauschen.
Irgendwann, ich glaube, es war in der zweiten Regenzeit nach Beginn des Krieges, schnitt sich Agathe die Haare, um genau zu sein: sie rasierte sich den Kopf, aber ich maß dieser Tatsache keine übermäßige Bedeutung bei. Obwohl ich natürlich ihren kunstvollen Frisuren nachtrauerte, den Zöpfchen, die sie in abenteuerlicher Weise zu Mäandern und Labyrinthen geflochten hatte, aber ich verstand, wenn sie erklärte, es sei jetzt nicht die Zeit, um stundenlang in einem Frisörstuhl zu sitzen und sich die Haare machen zu lassen. Noch sprach sie mehr oder weniger wie vorher, sie war noch nicht in den Singsang der späteren Tage gefallen, ihr Französisch war akzentfrei, ein wenig nasal vielleicht, so wie man es sich von Belgiern vorstellen
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