Hundertundeine Nacht
Staatssekretär hinaus, für seinen Triumph wartete er auf eine bessere Gelegenheit – die er sicher schon vorbereitete.
Ganz gegen meine Natur, sofort alles und jedes hinauszuposaunen, paßte ich mich der Taktik des Kollegen Zentis an. Es fiel mir schwer, aber diesmal würde auch ich warten können.
Die Versammlung löste sich auf. Im Hinausgehen sah ich mich um. Wie erwartet, schaute Zentis mir nach, wog wahrscheinlich noch ab, ob von mir eine Gefahr ausginge. Und wie dieser zu begegnen sei.
Kapitel 14
»Das ist ja unglaublich. Ich dachte, solche Typen gäbe es nur bei uns in der Industrie, als Verbandssprecher! Oder bei den Gewerkschaften!«
Vorsichtig schaufelte Sommer eine Portion Linsen in Richtung Mund. Diese Saison waren Linsen der unumstrittene kulinarische Höhepunkt am Gendarmenmarkt . Sommer sah zufrieden aus, ich weniger. Ich hatte mehr als die Hälfte meines Studiums mit Linsen überlebt. Die andere Hälfte mit Spaghetti. Wahrscheinlich erzählte ich deshalb von Zentis.
»Wissen Sie, Herr Sommer, diese Typen sind überall. Als Verbandssprecher, als Ärzte, als Minister. Ich nenne es das Musterschüler-Syndrom. Diese Leute sind nie erwachsen geworden, tun alles für eine Anerkennung, irgendein Lob. Typisch für Zentis war sein Auftritt letztes Jahr als sachverständiger Zeuge vor Gericht: Es ging um Herzkatheter, Zentis war Zeuge des Staatsanwalts. Wieder jemand, dem er es unbedingt recht machen wollte. Erst also sollte er seine Kompetenz als Sachverständiger in Sachen Herzkatheter nachweisen. Kein Problem, schließlich haben wir ihn über Jahre im Katheterlabor eingesperrt, da kamen schon ein paar Herzkatheteruntersuchungen zusammen. Aber Dr. Zentis wäre nicht Dr. Zentis, hätte er diese Zahl nicht gegenüber dem Gericht mindestens verdreifacht. Mit der so nachgewiesenen Kompetenz bestätigt er dann dem Herrn Staatsanwalt, daß der angeklagte Kardiologe aus Gewinnsucht viel zu viele Herzkatheteruntersuchungen pro Jahr durchgeführt hätte – was wahrscheinlich stimmte. Nun aber konnte der Verteidiger vorrechnen, daß sein Mandant weniger Herzkatheter pro Jahr gemacht hatte als der Herr sachverständige Zeuge selbst!«
»Eigentlich arme Schweine, solche Leute. Wahrscheinlich irgendwas mit ungenügender Vaterliebe oder so«, meinte Sommer, jetzt mit dem Steckrüben-Mousse beschäftigt. Neben Linsen waren zur Zeit offensichtlich auch Steckrüben angesagt.
»Sicher arme Schweine. Aber auch gefährlich. Nicht nur, daß irgendeinem Staatssekretär die Masche nicht auffällt. Diese Menschen verfügen über eine hochselektive Wahrnehmung: Zentis wird bald selbst überzeugt sein, daß er sich als hervorragender Pest-Doktor bewiesen hat.«
»Kann der Ihnen gefährlich werden, Dr. Hoffmann?«
Einen Moment überlegte ich.
»Ich wüßte nicht, wie.«
Mir fiel tatsächlich nichts ein. Warum wurde ich dann das Gefühl nicht los, mich an dieser Stelle eventuell gewaltig zu irren?
So interessant war die Kindergartenpsyche von Dr. Zentis auch wieder nicht, daß Sommer darüber seine geschäftlichen Interessen vernachlässigt hätte. Seit dem Skandal um unseren damaligen Laborchef Professor Dohmke war das Labor wieder den Internisten unterstellt, und damit mir.
Sommer ging es heute nicht um konkrete Aufträge, obgleich ihm klar war, daß wir auch im Laborbereich massiv aufrüsten mußten. Es ging ihm um Imagepflege für seine Firma, und sicher hätte er dazu dem Blumenverkäufer, der ihm gerade seinen Strauß vor die Nase hielt, gerne alle Rosen abgekauft, wäre Imagepflege zum Beispiel bei Verwaltungsleiterin Beate angesagt gewesen.
»Ich dachte, der Blumenverkauf in Restaurants sei voll in pakistanischer Hand!«
Ich schaute zu dem Blumenverkäufer auf. Tatsächlich, der hier sah mehr nach Mittelmeer oder Nahem Osten als nach Pakistan aus.
»Keine Ahnung. Vielleicht kümmern sich die Pakistani mit ihren älteren Rechten nur noch um die lukrativen Plätze, nicht um Spesenrittertempel wie diesen hier. Zu wenig verliebte Pärchen.«
Zum Nachtisch ließ sich Sommer eine dicke Havanna kommen. Es machte ihn irgendwie sympathisch, daß er aus einem Geschäftsessen durchaus auch persönlichen Genuß zog. Bei der Havanna mußte ich ablehnen, nicht aber bei dem über dreißig Jahre alten Brandy, der mir nicht einmal dem Namen nach bekannt war. In der Folge umhüllte uns ein wohliges Schweigen. Plötzlich beugte sich Sommer vor.
»Haben Sie etwas von Celine gehört?«
»Von
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