Hundertundeine Nacht
kaum einen Zweifel, was Beate meinte. Als manchmal ziemlich schneller Denker war Dr. Hoffmann nicht um eine Antwort verlegen.
»Wir müssen einfach noch mehr erfahren. Vielleicht hat Baran inzwischen schon mehr gehört, was an der Ladung angeblich faul war. Übrigens will auch unser Gastarzt seine Familie zu Hause zu vorsichtigem Nachfragen aktivieren.«
Wann eigentlich, fragte ich mich, lernen Männer, sich vor emotionalen Entscheidungen zu drücken? Als Säugling, wenn sie zwischen zwei Brüsten wählen müssen? In der Pubertät? Oder werden wir schon so geboren? So viele Fragen in sowieso fraglichen Tagen.
Beim nächsten Essen mit Beate, zwei Wochen später – doch wieder bei mir zu Hause –, gab es gegrillte Dorade mit Tomaten und frischen Kräutern, ansonsten lief der Abend ähnlich wie die bisherigen mit Beate. Vielleicht war der Abschiedskuß ein wenig intensiver als beim letzten Mal. Deutete ich die Signale falsch, oder gab es gar keine? Gab es nur eine knusprig anzuschauende Frau, die sich nett mit mir unterhalten wollte? Oder hatte mich Beate, andere Interpretation, zu ihrem aktuellen Sozialfall ernannt, den es mütterlich zu trösten galt? Die letzte Deutung verwarf ich umgehend.
Beates rascher Abgang gab mir Zeit, noch durch den per E-Mail eingetrudelten »vorläufigen Abschlußbericht für einen angenommenen Anschlag mit Yersinia pestis in Berlin« von Dr. Zentis zu blättern. Obgleich als »vorläufig« deklariert, war der Bericht für meinen Geschmack überraschend schnell fertig geworden.
Noch mehr irritierte die Tatsache, daß Zentis schon für morgen nachmittag die Konferenz zu seiner Verabschiedung einberufen hatte und kaum jemand den Bericht ausgerechnet am Sonntagabend ausführlich studieren würde. Ich druckte die über hundert Seiten aus, schenkte mir den Rest des Chardonnay aus Chile ein und begann mein Studium.
»Hide it in the middle«, heißt das alte Rezept, wenn man in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung eine etwas schwache Statistik oder Ergebnisse, die nicht so recht zum Resümee passen, unterbringen muß. Und genau dort hatte Zentis versteckt, was der Leser beim flüchtigen Durchblättern nicht bemerken, er aber bei der Besprechung sicher groß herausstreichen würde: die Tabellen über angenommene Erkrankungs- und Todesfälle, getrennt nach Kliniken und Berliner Bezirken.
In seinem Zuständigkeitsbereich waren, inzwischen hatte ich eine weitere Flasche Chardonnay entkorkt, um die Hälfte weniger Erkrankungen und noch einmal deutlich weniger Todesfälle als in den anderen Kliniken beziehungsweise Bezirken aufgetreten. Weder in den zahlreichen weiteren Tabellen noch in seinen Kommentaren dazu gab es eine Begründung für dieses Ergebnis, offensichtlich verfügten die Menschen in Marzahn und Hellersdorf einfach über eine bessere Immunabwehr als der Rest der Bevölkerung. Allerdings hatte ich eine ziemlich konkrete Vorstellung, wie Zentis zu den optimalen Zahlen in seinem Zuständigkeitsbereich gekommen war, und erwartete nun die morgige Konferenz in der Senatsverwaltung für Inneres mit einiger Spannung.
Als ich, wahrscheinlich mit einem blöden selbstzufriedenen Grinsen, einschlafen wollte, rief Beate an.
»Ich wollte dir nur eine gute Nacht wünschen, sonst nichts.«
»Danke. Ich dir auch.«
Kapitel 13
Privatisierte Krankenhäuser können ihre Herkunft aus dem öffentlichen Dienst nicht leugnen, auch im privatisierten Krankenhaus wird jeder Anlaß für ein Glas Sekt gerne genutzt. Diesmal war es die offizielle Abnahme und Indienststellung der Gas-, Wasser- und Druckluftleitungen im OP-Trakt, und den Sekt hatte der Fabrikant Sommer, persönlich anwesend, spendiert. Sicher war dieses Projekt mit rund eineinhalb Millionen Euro kein wirklich großes in seiner Firma, aber, wie gesagt, es stand auch noch die neue Klinikabwasseraufbereitungsanlage an.
»Außerdem«, meinte Valenta mit einer Flasche Sekt in der einen und einem mit Kanapees überladenen Teller in der anderen Hand, »so günstig wird Sommer kaum wieder alle Entscheidungsträger des Vital-Konzerns an einen Platz zusammenbekommen – in den anderen Kliniken gibt es noch jede Menge Aufträge.«
»Das will ich doch stark hoffen!«
Offensichtlich hatte Sommer, der plötzlich mit einem Sektglas neben uns stand, wenigstens den letzten Teil unseres Gesprächs mitbekommen.
»Und genau deshalb, Dr. Hoffmann, wollte ich Sie heute abend mit einem Essen bestechen. Hätten Sie
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