Hundertundeine Nacht
beziehungsweise Celines kurdische Freunde mit dem Gerücht von der »unsauberen Ladung« über bessere Informanten oder fühlten sie sich nur stärker der Tradition von »Tausend und eine Nacht« verpflichtet? Klar war nur, daß Dr. Hassans Schwager und meine Kurden verschiedene Quellen anzapften, und das könnte vielleicht einmal für die Bestätigung einer Nachricht wichtig werden.
»Entschuldigung, wie bitte?«
Mir war entgangen, daß Dr. Hassan weitergeredet und mich gerade etwas gefragt hatte.
»Ich meine, was geschieht nun mit den ganzen Sachen?«
Er sprach offensichtlich von der zweiten Hilfslieferung, die sich im Klinikkeller langweilte.
»Keine Ahnung, im Moment wenigstens.«
»Das kann ich verstehen, Dr. Hoffmann. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir Gedanken zu neuen Transportmöglichkeiten mache?«
Warum sollte ich? Denn, wie schon Herr Sommer richtig bemerkt hatte, im Keller der Klinik nutzte unsere Sammlung niemandem.
Ich hatte mich seit Celines Verschwinden nicht mehr, um die zweite Lieferung bei uns im Klinikkeller gekümmert, und dabei wäre es sicher auch geblieben, hätten mich jetzt nicht zwei Leute unabhängig voneinander daran erinnert und Marianne nicht ihr erstes Kind bekommen. Marianne war die Frau von Martin, Martin wiederum ein junger Assistenzarzt in der Inneren Abteilung und natürlich zum Nachtdienst eingeteilt, als es bei Marianne richtig losging.
»Was soll ich nur machen, Dr. Hoffmann? Die Wehen haben schon begonnen! Wir dachten, es käme erst nächste Woche!« Sonst ein kompetenter und umsichtiger Arzt, hatte mit dem Einsetzen der Wehen seiner Frau bei ihm eindeutig der Verstand ausgesetzt. Sinnlos, ihn aufzuklären, daß es ein Teil der Existenzberechtigung von Dienstplänen ist, über solche Termine sichere Auskunft zu geben: Kinder, zumal das erste, kommen grundsätzlich im eigenen Nachtdienst. Oder wenn man ein Wochenende für zwei Personen in einem Fünfsternehotel gewonnen hat. Ebenfalls sinnlos, ihn daran zu erinnern, daß ihm die letzte Spalte im Dienstplan die Ersatzkollegin oder den Ersatzkollegen für solche oder ähnliche Fälle verraten würde. Und selbst wenn, schien er mir im Moment kaum in der Lage, deren Telefonnummer korrekt zu wählen.
»Rauschen Sie ab, Martin. Ich kümmere mich drum – und Ihrer Frau alles Gute!«
Aber da war er schon längst verschwunden.
Ich holte mir den Dienstplan auf den Monitor und wählte die Telefonnummer des heutigen Ersatzkollegen, bekam allerdings nur seinen Anrufbeantworter. Das konnte mich nicht groß aufregen, es war dermaßen selten, als Ersatzmann oder Ersatzfrau gerufen zu werden, daß man diesen Termin leicht übersehen konnte. Eh ich nun nach der Handynummer suchte oder anderen Kollegen eine kleine Feierabendüberraschung bereitete, beschloß ich, selbst in der Klinik zu bleiben. Ich hatte ohnehin vorgehabt, am Abend Entlassungsberichte wegzudiktieren, und wenn ich das in der Klinik machte, brauchte ich die Akten nicht mit nach Hause zu schleppen. Wo sowieso niemand auf mich wartete, auch nicht in der Wohnung mir gegenüber.
Tatsächlich wurde es ein ziemlich ruhiger Nachtdienst, mit genug Zeit zum Diktieren. Als mir das zu langweilig wurde, fiel mir eine legitime Ersatzbeschäftigung ein, und ich stieg in den Keller des Altbaus hinunter, um mir den Zustand unserer zweiten Hilfslieferung anzuschauen. Eventuell näherten sich einige Medikamente ihrem Verfallsdatum und müßten in unserer Krankenhausapotheke ausgetauscht werden.
Die Tür zu unserem Lager war nicht abgeschlossen und nur angelehnt. Wann war ich das letzte Mal hier unten gewesen? Sicher noch gemeinsam mit Celine. Hatten wir die Tür offen gelassen? Egal, keine große Sache. Nach den Maßstäben einer reichen Industrienation gab es in diesem Keller nichts von Wert, auch keine Drogen.
Ich kontrollierte die Antibiotika und notierte, welche bald ersetzt werden müßten. Danach versicherte ich mich, daß die wasserdichte Verpackung der größeren Sachen, zum Beispiel unserer ausrangierten Beatmungsgeräte oder Infusionspumpen, nicht Opfer hungriger Ratten geworden war. Zugegeben, die Vorstellung von Ratten in den Kellern der Humana-Klinik ist nicht besonders angenehm, aber warum sollte ausgerechnet das Schild »Krankenhaus: Keine Topfpflanzen, keine Tiere« diese intelligenten Nager abschrecken? Eher schien vorstellbar, daß wir durch unseren großzügigen Umgang mit Tabletten und Radioaktivität vielleicht ein paar ganz besonders
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