Hundertundeine Nacht
gefräßige Mutanten gezüchtet hatten.
Aber es ging eindeutig nicht auf das Konto von Ratten, daß die große Holzkiste hinten links aufgebrochen war, die Holzkiste mit der zweiten Hälfte von Sommers Wasseraufbereitungsanlage. Hammer und Brecheisen lagen noch daneben. Da hörte ich ein Geräusch, definitiv nicht von Ratten.
»Ist da jemand?«
Unbestritten Platz 1 in der Rangordnung der dümmstmöglichen Fragen! Ich griff nach dem Brecheisen. Das schien mir sicherer, als mich auf die Tricks zu verlassen, die mir Celine mal aus ihrem Selbstverteidigungskurs gezeigt hatte.
Jetzt – ein vorsichtiges Kratzen oder Schlurfen, jedenfalls veränderte »Ist-da-Jemand« eindeutig seine Position. Um zu flüchten oder um in eine bessere Angriffsposition zu gelangen? Ich hob das Brecheisen über den Kopf und machte einen Schritt vorwärts. In Richtung Tür. Für mich immerhin war klar, wohin ich wollte.
»Piep – piep – piep. Dr. Hoffmann bitte dringend auf Station IIIb, bitte dringend auf Station IIIb«, meldete sich in diesem Moment mein Pieper und verschaffte mir so die Legitimation, ganz offiziell das Feld zu räumen. Was ich gerne tat. Zumal, wer ist schon ganz sicher, daß es mutierte Riesenratten wirklich nur in US-amerikanischen B-Filmen nach Mitternacht gibt?
Gut zwanzig Minuten später war ich zurück im Keller. Ausreichend Zeit, für wen auch immer, zu verschwinden. Wovon ich mich sorgfältig überzeugte. Das Problem auf der Station war natürlich nicht wirklich dringend gewesen. Außerdem hatte die Patientin prompt ihre Beschwerden vergessen, als ich bei ihr angekommen war. Was vielleicht etwas damit zu tun hatte, daß der Herr Doktor in der schummrigen Nachtbeleuchtung mit einem Brecheisen in der Hand an ihrem Bett stand.
Ich legte das Eisen zur Seite und schaute mir die aufgebrochene Kiste an. Sah so eine Wasseraufbereitungsanlage aus? Oder die Hälfte davon? Keine Ahnung. Um so mehr irritierte mich der Umstand, daß mir das Ding in der Kiste dennoch bekannt vorkam.
Der Nachtdienst blieb weiterhin ruhig. Kurz nach Mitternacht wurde ich noch zu Herrn Schlups gerufen. Am nächsten Morgen sollte er endlich seinen Herzschrittmacher bekommen. Die Einverständniserklärung hatte er zwar schon neulich unterschrieben, sie allerdings erst jetzt gelesen. Ich versprach, entgegen den dort ausgesprochenen Drohungen, seine Lunge nicht zu verletzen, seinen Herzmuskel nicht zu durchbohren und ihn auch nicht verbluten zu lassen.
Den Rest der Nacht lag ich auf der schmalen Couch im Dienstzimmer und überlegte, wer alles einen Schlüssel zum Keller im Altbau hatte. Sicher mehr Leute, als ich wußte. Danach hielt mich die Frage wach, was mir an dieser Wasseraufbereitungsanlage so bekannt vorkam. Endlich wurde es Morgen, und gleich nach dem Frühstück sollte Herr Schlups endlich seinen Schrittmacher bekommen.
Bis zum Kinn schon steril abgedeckt, begrüßte er mich voller Zuversicht, denn das Risiko, von einem unausgeschlafenen Arzt nach dessen Nachtdienst operiert zu werden, wird in der Einverständniserklärung nicht erwähnt.
Kapitel 16
Der Einbau eines Herzschrittmachers ist Routine, jedenfalls für den Arzt, und wird in aller Regel unter lediglich örtlicher Betäubung durchgeführt. Während ich also nach ein paar einleitenden Worten die Schrittmacherkabel im Herzen von Herrn Schlups plazierte, versuchte ich einen Sinn in meine Kellererlebnisse der letzten Nacht zu bringen. Wer war dort herumgeschlichen und hatte sich an der großen Holzkiste zu schaffen gemacht? Die Spur möglicher Schlüsselinhaber hatte ich schon in der Nacht als wenig aussichtsreich verworfen, ebensowenig führte die Überlegung weiter, wer überhaupt von unserem Spendensammellager wußte – auch eine Menge Leute. Und die meisten von ihnen konnten sich ganz offiziell dort umtun, hätten sich nicht zu verstecken brauchen. Der Kurde Baran zum Beispiel, oder Gastarzt Abdul Hassan oder sogar der Industrielle Sommer.
Die Kabel saßen gut, jetzt mußte nur noch das Kästchen mit Batterie und Elektronik unter Putz. Aber auch während dieser weder intellektuell noch handwerklich besonders fordernden Tätigkeit konnte ich keinen wirklich Verdächtigen entdecken. Ich versuchte es mit meiner wissenschaftlichen Ausbildung, in der man lernt, nach einem anderen Blickwinkel auf das Problem zu suchen, wenn man immer wieder in einer Sackgasse landet. Ich würde bei meinen weiteren Überlegungen von der aufgebrochenen Kiste ausgehen und mich um
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