Hundertundeine Nacht
Geheimdienst?), die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Durfte man davon ausgehen, daß von keiner Partei diese Frage zur bewußten Täuschung gestellt worden war und daß also weder Herr Sommer noch Gastarzt Dr. Hassan und auch nicht die USA das Ding geklaut hatten? Wer denn? Ich ging die Liste weiter durch. Unser tüchtiger Verfassungsschutz? Mein Freund Michael?
Beides schien mir äußerst unwahrscheinlich. Der Verfassungsschutz hatte sich nie dafür interessiert. Und bei meinem Freund Michael konnte ich mir weder vorstellen, daß er plötzlich ins Giftgasgeschäft einsteigen wollte, noch daß er gerade einen halben Ultrafeinstvernebler in seinem Labor gebrauchen konnte. Eines war glasklar: Irgend etwas oder irgend jemanden übersah ich.
»Pling – Sie haben Post«, meldete der Computer.
Neben zwei Kettenbriefen gegen den drohenden Irak-Krieg war es das Übliche: Warum es sich gerade jetzt lohne, in den Aktienmarkt einzusteigen, warum ich Tanker-Beteiligungen, Eigentumswohnungen in Cottbus oder an der Algarve und Diamanten direkt aus Afrika kaufen sollte. Offensichtlich wird bei Klinikärzten unverändert Geld vermutet, wenigstens Schwarzgeld. Leider zu Unrecht. Sogar eine Pharmafirma war irgendwie an meine private E-Mail-Adresse gekommen, eine Pharmafirma, von der ich noch nie etwas gehört hatte. Sonst hätte ich die Mail wahrscheinlich gar nicht erst aufgemacht.
So aber wurde schnell klar: Diese Mail kam nicht von einem Pharmaunternehmen. Und um so gründlicher ich diese elektronische Werbung der Firma Alpha Pharmaceutics für ein neues Antibiotikum studierte, desto mehr nahm meine Aufregung zu. Machte ich mir etwas vor, konstruierte ich aus ein paar Zufällen die Welt nach meinen Wünschen? Ich brauchte unbedingt Hilfe, und dies schnell. Hilfe, um herauszubekommen, was mir hier tatsächlich mitgeteilt wurde. Und von wem und woher. Oder ob man mich grausam auf den Arm nahm.
Zur Sicherheit kopierte ich den erstaunlich umfangreichen Datensatz auf einen USB-Speicher, steckte mir das zigarettenanzündergroße Teil ein und rannte durch den späten Sommerabend zu meinem Auto. Ich brauchte dringend jemanden mit guten IT-Kenntnissen.
Niemand brauchte mich daran zu erinnern, daß ich früher bei der Lösung solcher Probleme auf Celine rechnen konnte. Natürlich, das Leben ging auch ohne Celine weiter, aber gerade das machte es so schwer.
Deutlich oberhalb der zugelassenen Geschwindigkeit fuhr ich mit meinem USB-Speicher zu Michael, den ich sicher noch in seinem Labor antreffen würde. Michael verfügt nicht über den theoretischen Hintergrund in IT-Fragen wie die Mathematikerin Celine, mußte aber heutzutage als Laborarzt auch ein guter Elektroniker und Informatiker sein. Außerdem sind neben Seidenkrawatten, gutem Essen und schönen Laborantinnen Computer und Internet sein Hobby. Kurz, er versteht weniger davon als Celine, aber deutlich mehr als ich.
»Hallo, Felix! Was gibt's Neues?«
Diese Begrüßungsformel gehört zu Michael wie seine edlen Seidenkrawatten und die gute Laune, mit der er mich am inzwischen immerhin recht späten Abend empfing. Und auch sein zwangsläufig unmittelbar folgendes »Was kann ich für dich tun?« war genau so gemeint. Ich wünschte, es hätte in den letzten Monaten nicht immer wieder eine wirkliche Antwort auf sein »Was gibt's Neues?« gegeben, und sein »Was kann ich für dich tun?« wäre wie früher mit »Mach uns ein Bier auf« abschließend beantwortet gewesen.
Ich gab ihm eine ungeduldige Zusammenfassung meiner Besucher in Sachen »verschwundene Wasseraufbereitungsanlage«.
»Die hat sich dieser Herr Sommer zurückgeholt und verschiebt sie nun ohne euch in den Irak«, meinte er, gab aber gleich zu, »das ist nur so ein Gefühl.«
Mir war das im Augenblick vollkommen egal. Ich hielt ihm meinen USB-Speicher unter die Nase.
»Michael! Ich glaube, Celine lebt!«
Ich kannte den Blick, mit dem mich Michael anschaute, diese Suche nach Zeichen des Wahnsinns, die aus Vertrautheit mit dem Gegenüber bisher entgangen sind. Aber entweder wollte Michael seinen wahnsinnigen Freund nicht weiter erregen, oder er fand keine eindeutigen Zeichen, jedenfalls machte er einen seiner pragmatischen Vorschläge.
»Ich hole uns jetzt erst einmal ein Bier. Und dann wirst du Schritt für Schritt berichten und mich überzeugen. Fair?« Michael ging das Bier holen, während ich die E-Mail der Firma Alpha Pharmaceutics auf seinen Computer überspielte. »Na und? Alpha
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