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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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kommen, müßte man erst einmal herausfinden, welche Dienststelle auf ihnen saß und wo der Antrag auf ihre Herausgabe zu stellen war. Für die Exhumierung war der Weg vergleichsweise klarer, man brauchte nur einen richterlichen Beschluß. Sicher konnte auch ich versuchen, den zu bekommen. Größere Chancen aber hätten Celines Eltern.

    Deshalb fand mich der Nachmittag auf der Autobahn nach Hamburg und der frühe Abend vor dem Reihenhaus in Bergedorf. Die Sonne war bereits untergegangen, die Dunkelheit hatte aber noch nicht übernommen, wenn auch die Außenlampe schon leuchtete.

    »Bist du das, Felix Hoffmann?« Celines Vater kniff die Augen zusammen, seine Brille hing an einer Kette um den Hals. »Was willst du hier?«

    »Es geht um Celine.«

    Sein erster Impuls schien, die Tür vor mir zuzuschlagen, tatsächlich aber öffnete sie sich ein wenig.

    Wortlos ging er voraus und plazierte mich im Wohnzimmer.

    »Ich hole ihre Mutter.«

    Das Wohnzimmer wirkte absolut unverändert seit jenem Weihnachtstag, an dem Celine und ich von hier geflüchtet waren. Nur die geschmückte Fichte fehlte, aber ihr Platz neben dem kaum je benutzten Kamin stand fest, nichts würde man verrücken müssen. Es roch nach Stillstand, nach einem Leben, das vorbei war, ohne daß seine Akteure es bemerkt hatten. Wieder kam mir in den Sinn, daß die beiden gerade mal gut zehn Jahre älter waren als ich. Würde auch mein Leben schon bald auf dem Abstellgleis stattfinden?

    Endlich kamen die beiden aus dem Obergeschoß herunter, keine Ahnung, was sie so lange aufgehalten hatte. Ich sagte ihnen, warum ich gekommen war.

    »Nie im Leben!«

    Beruhigend griff Herr Bergkamp nach der Hand seiner Frau, die das jedoch nicht zu bemerken schien und weiter ein zerknülltes Papiertaschentuch bearbeitete. Hatten die beiden mich nicht verstanden? Begriffen sie nicht? Noch einmal berichtete ich ausführlich von der E-Mail, der Muschel, der Nachricht.

    »Ich sage euch, daß eure Tochter wahrscheinlich am Leben ist. Kapiert ihr das? Und selbst, wenn ich mich irre: Wollt ihr keine Gewißheit?«

    »Felix, es bleibt dabei. Keine Exhumierung. Auf keinen Fall.«

    Ich sprang auf.

    »Ihr habt Celine nicht erst auf dem Waldfriedhof begraben. Ihr habt sie bereits begraben, als sie gegen euren Protest in den Irak gefahren ist. Wahrscheinlich schon damals, als ihr auf eurer Weihnachtsgans sitzengeblieben seid.«

    Celines Vater wollte etwas erwidern, aber seine Frau stoppte ihn. Natürlich lag ich voll daneben, aber es dauerte eine Zeit, bis ich das in ihrem Schweigen erkannte. Ich setzte mich wieder, wartete ab. Noch immer hatte man mir nichts angeboten. Inzwischen saßen wir fast im Dunkeln. Vielleicht sah ich deswegen plötzlich ein gewisses Leuchten in den Augen der Mutter, ein seltsamer Blick war auf mich gerichtet. Ein Blick, wie man ihn von den Zeugen Jehovas kennt, oder anderen Menschen, die im Besitz der Wahrheit sind und voller Mitleid mit denen, die den Weg zur Wahrheit nicht finden. Vielleicht aber bildete ich mir diesen Blick bei Celines Mutter nur ein, oder es war wegen der fehlenden Fotos von der toten Tochter, die ich wenigstens auf dem Kaminsims erwartet hätte.

    »Ihr habt gewußt, daß das nicht Celine in dem Sarg war!«

    Beide schwiegen.

    »Habt ihr es nur mir nicht gesagt? Aber alle eure Revoluzzer-Freunde auf dem Friedhof wußten Bescheid? Habt ihr euch wenigstens ordentlich amüsiert?«

    »Es hat nichts mit dir zu tun, Felix. Außer uns wußte das niemand auf dem Friedhof. Man hat uns überzeugt, daß es so am besten war. Für Celine. Wir haben es für Celine getan.«

    Mit Mühe begann ich zu verstehen.

    »Für Celine? Oder für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland? Ich fasse es nicht. Was würdet ihr heute mit Gudrun Ensslin vor der Tür machen? Den Riegel vorlegen? Die Hunde von der Leine lassen? Oder sie gleich festhalten, bis die GSG 9 kommt?«

    Persönlich verletzt und meiner überlegenen Position sicher, ließ ich die beiden in ihrem dunklen Reihenhaus allein und suchte die Autobahnauffahrt zurück nach Berlin.

    Trotz anfänglich freier Fahrt auf der nächtlichen Autobahn gaben mir die fast dreihundert Kilometer Hamburg-Berlin ausreichend Zeit, meine Verletztheit zu pflegen. Man hatte mich hintergangen, betrogen, für dumm verkauft. Wütend hämmerte ich auf das Lenkrad ein, wütend über eine Trauer, die mir nicht tief genug erschienen war. Oder war ich wütend über den Verlust des Verlusts?

    Es dauerte bis zur

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