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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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Ohren unhörbar war, konnte Hannes die Kraft der Pfeife spüren. Sie durchfuhr ihn, wenn er das Metall berührte. Seit er die Hunde scharfgemacht hatte, spürte er es noch stärker: Wenn er in die Pfeife blies, komprimierte sich sein Wille in dem dünnen Röhrchen, eine wirbelnde Säule aus Einfluss baute sich aus dem Nichts auf und wurde zur Herrschaft über Leben und Tod
.
    Hannes trug die Pfeife Tag und Nacht an einer Kette um den Hals. Er erinnerte sich nicht mehr, wann er sie das letzte Mal abgenommen hatte. Die Pfeife war wie ein Körperteil. Er trug sie wie ein Kreuz an seiner Brust. Hätte man sie ihm genommen, er hätte das Gefühl gehabt, alles zu verlieren. Die Pfeife war ihm eine Religion, für seine Hunde das Gesetz
.
    Manchmal hatte Hannes den Eindruck, dass zwischen den Hunden und den Menschen, die ihn umgaben, kein Unterschied mehr festzustellen war. Beide waren wild darauf, einem Rudel anzugehören. Beide wollten an die Hand genommen werden. Sie waren froh, wenn man sie an einer Leine führte. Wann immer ihn diese Erkenntnis einholte, fühlte er sich erhaben wie ein Feldherr, der auf ein rauchendes Schlachtfeld blickte
.
    Einmal hatte er einem Menschen seinen Willen aufgezwungen. An einem Tag im Herbst, als seine Eltern ihn wieder einmal allein zurückgelassen hatten. Bereits zu Mittag waren schwarze Wolken über den Himmel gekrochen wie ein dichter Rauch, der langsam das Licht fraß. Es wurde schnell kälter. Gerade überquerte er mit dem Kindermädchen eine Straße, als der Regen wie Fäuste auf sie einzuschlagen begann. Innerhalb weniger Sekunden waren beide bis auf die Knochen durchnässt
.
    Frierend und prustend kehrten sie nach Hause zurück. Er hatte in seinem Leben noch nie so gezittert, sein Hemd drückte ihm klamm auf die Schultern. Im Badezimmer half ihm das Kindermädchen sich auszuziehen, neben den trockenen Kleidern, die es ihm hingelegt hatte, wuchs ein nasses Bündel hoch. Als sie sich zu ihm hinunterbeugte, sah Hannes, wie sich der Stoff ihres T-Shirts langsam von ihren Brüsten abschälte. Ein Tropfen löste sich von einer Haarspitze und schlug auf den Fliesen auf. Hannes streckte die Hand aus und drückte den Stoff ihres T-Shirts zurück gegen die Brustwarze. Die Bewegung setzte sich fort. Er strich die Nässe glatt. Seine Finger umschlossen die Brust. Das Kindermädchen ließ es geschehen
.
    Die Hand handelte selbstständig, sie schien ihn zu führen. Sie folgte einem tief sitzenden Instinkt, kannte ihren Weg. Sie rutschte in die Grube des Busens und wanderte weiter über nassen Stoff. Sie spürte die leisen Hebungen des Zwerchfells. Die Hand strich den Bauch hinab. Hannes’ Gesicht fühlte sich taub an. Er war in Trance. Unter seinen Fingern zitterte es, doch die Haut war warm. Die Hand erreichte ihr Ziel. Ohne zu zögern rutschte sie in den Slip
.
    Dann der sanfte Schock des anderen, Einschlag in einem fremden Geschlecht. Ihre Wärme lag in seiner Hand, als hätte er gerade den Göttern das Feuer gestohlen. Von nun an gab es keine Zweifel mehr, keine Zurückhaltung. Nun schwelte der Brand. Hannes’ Finger begannen sich zu bewegen. Das Kindermädchen schloss die Augen
.
    Es war Hannes’ erste Erinnerung an ein unmenschliches Gefühl von Macht. Über allem stehend, ohne Grenzen, ein Körper ohne unterjochende Regeln, ein entfesseltes Ich. Er hatte keine Gründe mehr nötig. Er handelte. Er war allmächtig. Er hielt den Schlüssel zum Glück
.
    In einem Moment der Schwäche hatte er einmal gedacht, dass das Kindermädchen nur wegen der Kälte gezittert hatte. Doch er hatte den Gedanken schnell wieder verworfen. Vielleicht war es gar nicht so kalt gewesen. Wer wusste das schon? Man musste nur die Parameter der Erinnerung etwas justieren. Es war möglich, dass es gar nicht geregnet hatte. Vielleicht war es eigentlich sehr heiß gewesen. Dann hatte sie wirklich nur seinetwegen gezittert. So musste es gewesen sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht – weil er sich verbot, sie zu denken
.
    An ihren Namen konnte er sich nicht mehr erinnern. Doch ein Name war schließlich nicht wichtig für das richtige Bild von der Wirklichkeit. Ein Name war nur ein unwichtiges Detail, wenn man einmal gelernt hatte, wie die Realität zu kontrollieren war
.
    Dies war gleichzeitig Hannes’ größte Angst: Furchtbar waren jene Momente des Lebens, die einen eigenen Willen zu besitzen schienen. Auf der Landkarte seines Geistes waren dies die weißen Flecken, in die er nicht vordringen konnte. Sie

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