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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Abermann
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können? Was hätte passieren müssen, damit du dich vom Rudel entfernst?
    Als Hannes anrief, zögerte ich. Doch nur kurz. Er sagte, es würde sich lohnen. Natürlich würde es das. Es lohnte sich ja immer. Also ging ich los.

    Eine U-Bahn ratterte unterirdisch, der Boden bebte. Ich stand an der Ecke zum Palace. Einige Pfützen im Rinnstein schimmerten ölig. Ich betrat die Bar, sah mich um, konnte jedoch die anderen nicht entdecken. Ich beobachtete die Menge. Keine bekannten Gesichter, aber ein Mädchen. Sein Haar wirbelte mir von der Tanzfläche entgegen, verfärbte sich rhythmisch unter den Scheinwerfern. Auf seiner Haut glänzten Schweißperlen.
    Ach Anna, weißt du, warum sie mir auffiel? Weil sie dir ähnlich sah. Vielleicht glaubst du mir nicht. Und du hast recht. Woher sollst du wissen, ob ich die Wahrheit sage. Es könnte auch eine einfache Ausrede sein. Doch sie sah dir ähnlich. Ich erfinde es nicht.
    Weißt du, warum ich mich von ihr angezogen fühlte? Weil ich bei ihr noch Hoffnung sah, sie für mich zu erobern. Denn seien wir uns ehrlich, Anna, du hast auf eine andere Eroberung gewartet, auch wenn es sie nie geben würde. Du saßt hinter den Klostermauern deiner Hoffnung, wartend. Ich hatte zu deiner Zelle keinen Zutritt. Dieses Mädchen war dein Echo in meiner Welt.
    Ich riss mich von dem Anblick los, steuerte auf die Bar zu, bestellte Bier und trank. Versuchte die Unruhe abzutöten. Ich zögerte, sie anzusprechen. Ich versuchte mir Situationen vorzustellen, in denen wir miteinander sprachen. Ich versuchte mir vorzustellen, wie das Gespräch verlaufen könnte. Ich legte mir einen Schlachtplan zurecht, doch ich kam nie dazu, ihn auszuführen. Stattdessen drehte ich mich um und prallte mit ihr zusammen. Mein Bier schwappte über, mein rechtes Hosenbein bekam einen ordentlichen Schwall ab. Wir standen beide etwas peinlich berührt da. Meine Pläne schwammen mit dem Bier davon.
    So stellte man sich eine solche Situation doch vor. Jetzt müsstest du nur noch den richtigen Satz finden, etwas Kurzes, Prägnantes, Cooles, Witziges von dir geben! Irgendetwas nur. Doch was sagst du? Nichts sagst du! Ich rauschte bloß geistig zurück ins Mittelalter, die Welt war plötzlich wieder eine Scheibe, sie war ein Plattenteller, der sich zu schnell drehte, und ich kurvte wirr durch die Rillen. Ich sah dem Mädchen dumpf und blöde ins Gesicht. Sie lachte und entschuldigte sich.
    „Tut mir leid“, sagte sie.
    Es kam mir vor, als hätte ich noch nie zuvor einen Satz verwendet wie diesen. Seit ich existierte.
    „Tut mir leid“, sagte sie noch einmal, als wäre sie sich nicht sicher, ob ich ihr überhaupt zuhörte. Sie legte den Kopf fragend halb zur Seite. Lachte unsicher. In ihren Augen reflektierte von irgendwo blaues Licht. Auch ich legte den Kopf automatisch zur Seite, imitierte ihre Bewegung. (Sag etwas, Papagei!) Ich öffnete kurz den Mund. Schloss ihn jedoch gleich wieder.
    Es gab keine Worte mehr, nur noch klobige Gewichte, die sich mir an die Zunge hängten. Mein Kiefer bewegte sich nach unten, kaute Luft, zuckte wie die Züge eines Stotterers. Ich nickte verstört, während mir das Bier langsam in den Schuh lief, ich fraß ihr Lächeln auf, und schließlich spuckte ich den einzigen Satz aus, der mir einfiel. Ich fragte, wie sie heiße. „Maria“, antwortete sie. Ich nickte, als hätte ich es schon gewusst. (Dabei denke ich die ganze Zeit daran, dass ich ihr Gesicht anfassen will, und zwar dort, wo ich Anna in ihr entdeckte. Aber was tust du? Nichts tust du!)
    Wir schwiegen wieder. Ich versuchte zu lächeln, sie lächelte besser. Sie schaute mich noch einmal fragend an und zuckte schließlich mit den Schultern. Sie trat an mir vorbei, bestellte an der Bar, ich hingegen entfernte mich wie ferngesteuert. Ich fühlte ihren fragenden Blick in meinem Rücken.
    Hinten im Eck fand ich einen Platz auf einem Sofa. Es beruhigte mich, dass das Licht dort hinten so dunkel war. Ich versteckte mich und meinen hochroten Kopf im Dämmerlicht, klammerte mich an dem Bier fest. Drüben im Licht nahm das Mädchen sein Getränk in Empfang. Während meine Augen sie gedankenverloren musterten, schüttelte ich über mich selbst den Kopf und meine Lippen wiederholten murmelnd diesen Namen, der so einfach war, dass man ihn nicht mehr vergessen können würde.
    Niemals würde ich diesen Namen vergessen, dachte ich mir. Niemals dieses Gesicht.
    Aus den Lautsprechern rauschte die Musik, ein Mashup, zwei Tracks spülten ineinander. U2

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