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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Stinne und mir, zu »Frau Großmutter« werden sollte. Für diese stille, etwas traurige Gestalt, die stets bei den gemeinsamen Abendessen der Familie erschien, aber sonst nicht viel Aufhebens um sich machte. Kinderlos und durch Unglücksfälle verhärmt, ging sie meist früh nach Hause, wobei sie von damals träumte, als alles anders gewesen war und sie wie eine verzauberte Elfe im Mondschein durch das Haus meines Großvaters mütterlicherseits tanzte. Und so wie bestimmte Geschichten an bestimmten Personen kleben, so klebte die Geschichte von Frau Großmutter, die sich im Kino in die Hose geschissen hatte, das ganze Leben an Lillian und machte sie in der Familie zu einer lächerlichen Figur. »Na«, sagte Askild jedesmal, wenn wir den üblichen Sonntagsspaziergang hinter uns hatten, »hoffentlich hat sie sich am Kaffeetisch nicht in die Hose geschissen.« Natürlich zum großen Vergnügen von Stinne und mir. Und sogar Bjørk, die Askilds Ausdrucksweise sonst immer korrigierte, konnte nicht an sich halten und fing an, über diese komische Person zu kichern, die Mutter mit einer gewissen Unreife ihr ganzes Leben lang »Frau Mutter« nennen sollte.
    In der Nacht nach der Hochzeit träumte Leila, daß ein neuer Wind ins Himmelreich blies und das Leben ihrer Mutter unter den Engeln veränderte. Jetzt fuhr Elisabeth wieder Motorrad durch den Garten Eden, nun gab sie sich wieder den rosenlippigen Engeln und den behaarten Satyrn hin. Und als Leila am nächsten Morgen erwachte, spürte sie einen bis dahin unbekannten Schmerz im Unterleib, und kurz darauf fiel ihr Blick auf einen roten Fleck auf dem Laken und einen etwas größeren Fleck auf ihrem Höschen. Sie hatte mit anderen Worten ihre erste Menstruation. Ohne dieser Tatsache größere Aufmerksamkeit zu schenken, zog sie sich einen Morgenrock über und lief hinunter in den Keller, um nachzusehen, ob die nächtlichen Träume die Wahrheit gesagt hatten. Und hier blätterte sie all die sorgfältig geordneten Photoalben mit einer ständig größer werdenden Ratlosigkeit und Verwunderung durch, denn sie fand nichts anderes als verwaschene Photographien, bis zur Unkenntlichkeit entstellte Motive, Briefe, die sie nicht länger lesen konnte, und eine erbärmlich aussehende Naziflagge, die mit kindlichen Figuren bemalt war. Nachdem sie alles mehrfach durchgeblättert hatte, stand sie mit zwei einigermaßen erhaltenen Photos da, die eine ganz banale Trinkszene zeigten, und sie verstand, daß ihre Mutter in entferntere Teile des himmlischen Todesreiches emigriert war. Sie steckte die beiden Photographien in die Tasche, schloß den Rest der Sachen in den Schrank, schmiß den Schlüssel in den Wasserabfluß, der einst ein bodenloses Loch gewesen zu sein schien, ging nach oben zu Frau Mutter und bat um eine Binde.
    Lillian lächelte entzückt und überschüttete die Stieftochter mit guten Ratschlägen, und beim Abendessen waren es plötzlich die beiden Frauen, die ein Geheimnis vor Hans Carlo hatten. Sie zwinkerten sich einverständig zu. Glücklich überrascht über die plötzliche Gemeinsamkeit der Frauen, erkannte Hans Carlo, daß in seinem Leben ein neuer Abschnitt begonnen hatte. Schluß mit vielen Jahren Krankheit, Schluß mit den Familienstreitigkeiten der letzten Jahre, nun begann im Alter von achtundvierzig Jahren seine zweite Jugend. Das Leben ist schön , dachte er, jetzt gehe ich runter und hole das Motorrad heraus …
    Natürlich konnte die erste Menstruation der Tochter und ihr überraschender Verlust des magischen Universums im Keller niemals die Tatsache überdecken, daß die beiden Frauen einen ewigen Kampf um Hans Carlos Aufmerksamkeit ausfechten würden. »Eure Frau Großmutter«, sagte Mutter oft, »hat immer geglaubt, sie könnte einfach so daherkommen und alles kaputtmachen.«
    Mit der Zeit war jedoch jedem klar, daß die ehemalige Haushälterin den längeren Strohhalm gezogen hatte. Es war ihr gelungen, Zutritt in Großvaters Schlafzimmer zu bekommen, und seine behutsamen Handwerkerhände hatten ihren jungen Körper angenommen, so wie sie es sich von dem Augenblick an erträumt hatte, als sie das erste Mal mit dem wortkargen Witwer in der Küche saß. Ich wollte mich nicht damit begnügen, seine Geliebte zu sein, ich wollte nicht mein ganzes Leben lang Haushälterin sein , dachte Lillian und betrachtete nicht nur den schmalen Goldring an ihrer linken Hand als eine Siegestrophäe.
    Leila warf oft mißbilligende Blicke auf den Ring, aber als der nächste Krach

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