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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Bewunderung für diesen Seefahrer, und mehrfach versuchten wir, von Anne Katrine Genaueres über seine unglücklichen kleinen Mädchen zu erfahren. »Darüber weiß ich nichts«, sagte sie.
    »Wißt ihr, was ich glaube?« sagte Stinne. »Ich glaube, in diesen Hängematten, da vögelt er mit all diesen unglücklichen Mädchen.«
    »Er vögelt im Saft!« krähte ich.
    »Nein!« protestierte Anne Katrine.
    »Laßt uns Großmutter fragen«, sagte Stinne.
    Wir gingen direkt zum Haus am Tunøvej, um die Frage der unglücklichen kleinen Mädchen zu klären, aber als wir ins Wohnzimmer kamen, saß Großmutter in dem großen Lehnsessel und weinte.
    »Hast du dir weh getan?« fragte Anne Katrine und sah ihre Mutter erschrocken an, die an diesem Vormittag im Sägewerk einen Anruf ihres Bruders erhalten hatte.
    »Meine Mutter ist tot«, flüsterte Großmutter und starrte leer in die Luft.
    » Du hast eine Mutter?« fragte Stinne und schaute Bjørk überrascht an.
    In diesem Augenblick war Großmutter fest entschlossen, zurück nach Norwegen zu reisen, um an dem Begräbnis teilzunehmen. Sie war fast sechzig, hatte Mutter Ellen siebzehn Jahre nicht gesehen, und nun brachen die Erinnerungen über sie herein und versorgten sie mit so viel Energie, daß sie ein Reisebüro anrief und sich nach den Reisemöglichkeiten mit der Fähre und dem Flugzeug erkundigte. Aber wie immer, wenn es um Norwegen ging, verliefen die Anstrengungen im Sande; etwas Unwirkliches schlich sich in ihre Pläne, und schließlich begnügte sie sich damit, ein Bukett zu schicken und ihr Drittel des Erbes bei einer Umzugsfirma einzulagern. Es ging um die erhaltenen Reste des pleite gegangenen Svenssonschen Familienimperiums: Mahagonimöbel, Meerschaumpfeifen, ledergebundene Bücher, seltenes Porzellan, alle möglichen Souvenirs von den sieben Weltmeeren, darunter ein Schrumpfkopf aus Borneo und unzählige weitere Raritäten, die zum Teil noch aus Rasmus Raffzahns Zeit stammten.
    »Großmutter hatte eine Mutter«, verkündete Stinne noch am selben Abend am Eßtisch, »aber sie ist jetzt fortgegangen.«
    »Was!« stieß Vater aus und rannte zum Telephon, wo er zu schimpfen begann. Das war typisch Bjørk, ihrem Sohn nicht Bescheid zu sagen. »Sie war schon immer so hintenrum«, beschwerte er sich an diesem Abend bei seiner Frau, »hat sie wirklich geglaubt, sie könnte mir den Tod meiner Großmutter verheimlichen?«
    Doch nach dem Tod von Mutter Ellen fing Bjørk an, sich noch geheimnisvoller zu benehmen. Während das Erbe in einem Magazin stand und Staub ansetzte – nur darauf wartend, daß die Bezahlung der Lagerkosten drei Monate hintereinander ausblieb –, begann Bjørk, auf dem Heimweg von der Arbeit Umwege zu machen. Wie damals in Bergen ging sie häufig aus dem Haus, um einzukaufen, und kam dann ohne Einkaufstüten zurück, und wenn Askild fragte, wieso sie erst jetzt käme, hatte sie eine Unzahl von Ausreden parat oder behauptete, daß sie nur ein wenig frische Luft gebraucht hätte.
    »Wahrscheinlich hat sie einen Mann kennengelernt«, hörte Stinne irgendwann einmal Mutter im Wohnzimmer flüstern.
    »Das würde mich nicht wundern«, flüsterte Vater zurück und sah den Troll vor sich, der einst dem alten Mahagonischrank von Thor, dem Arzt, entsprungen war.
    Als Stinne im Alter von acht Jahren ihr erstes gestohlenes Fahrrad von Askild bekam, wurde unsere Welt größer, und wir hatten jetzt nicht immer die Zeit, um mit Anne Katrine auf Entdeckungsreise in die Gärten anderer Leute zu gehen. Dennoch erschien sie jeden Tag, und allmählich fingen wir an, uns alles mögliche auszudenken, um sie loszuwerden. Wenn unsere Lügengeschichten nichts fruchteten und ein lautloses Verschwinden durch die Hintertür und weiter durch ein Loch in der Hecke nicht gelang, konnte man Anne Katrine leicht davonlaufen, denn inzwischen bekam sie nur mühsam Luft und atmete unregelmäßig. Häufig mußte sie bereits nach zwanzig Metern aufgeben, blieb dann auf dem Bürgersteig stehen und sah uns die Straße hinunterrennend verschwinden.
    »Ihr müßt!« hickste sie. »Eure Mutter sagt!«
    »Ist uns doch egal, du blöde Tomate!« rief Stinne. Wenn wir allerdings irgendwann später am Moor herumstromerten, brachte sie es fertig, plötzlich mit einem völlig irren Gesichtsausdruck aus einem der Büsche hervorzubrechen. Haps! sagte es, und ich war in ihren schwabbeligen Armen festgeklemmt und konnte das unheimliche Geräusch ihres Herzens hören, das sich ziemlich wild

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