Hundsköpfe - Roman
aufführte.
»Laß ihn los«, schrie Stinne, »laß ihn los, du blöde Tomate!«
»Nix«, schnaufte Anne Katrine und drückte mich noch fester an ihre ausufernden Brüste.
»Laß mich los«, krächzte ich und wand mich in ihren Armen, bis ich es aufgab, mich zu wehren, und meine große Schwester flehend ansah, die unversehens auf die dicke Tante losging, sie ins Gras warf und ihr so fest in die Hand biß, daß sie endlich ihren Griff lockerte.
»Ich blute!« heulte Anne Katrine und starrte auf ihre Hand, in der tatsächlich Blut aus dem Abdruck der perfekten Zahnreihe meiner Schwester tropfte. »Das tut weh«, jammerte sie und war schließlich so in Tränen aufgelöst, daß wir sie zu Großmutter nach Hause bringen mußten.
»Ein Pudel hat sie gebissen«, sagte ich zu Bjørk, als wir ins Haus am Tunøvej kamen. Großmutter guckte mir einen Moment lang ernst in die Augen. Dann zuckte sie resignierend mit den Schultern, als würde sie meine Erklärung akzeptieren, und wahrscheinlich begannen sie so – meine kleinen Lügengeschichten, die sich mit den Jahren auswachsen sollten und Großvater zu einem letzten Bild in einer Reihe von Gemälden inspirierten, die er seinen Kindern und Kindeskindern widmete. Es waren Neues Leben im alten Klo für Vater, Der Arzt und das Skalpell für die dicke Schwester, Es brennt in Bergen für Onkel Knut, Der Vandale sitzt im Briefschlitz fest für Stinne, und zuletzt 1979 Der Lügner stolpert über seine eigene Geschichte für seinen Enkel.
Und diese Geschichte kann ich ebensogut auch gleich erzählen. »Da ist ein Hund im Keller«, sagte ich im Alter von sieben Jahren während eines Abendessens im Kreise der Familie zu Großvater, und Askild mußte lächeln, als ich ihn aufforderte, in fünf Minuten selbst runterzugehen und nachzugucken.
Das Ganze war Stinnes Idee. Sie hatte den Dackelschädel gefunden, sie hatte die beiden Kerzen geklaut, und sie war es, die den halben Abend dafür gebraucht hatte, um mich zu überreden, mich in den Raum unter der Treppe zu legen, wo der Dackelschädel mit den beiden, in den leeren Augenhöhlen flackernden Kerzen bereits lag.
Der Raum unter der Treppe war der unheimlichste Ort im ganzen Haus, aber ich kroch durch den schmalen Spalt, der in den großen Raum führte, legte mich unter eine alte Decke, so wie es Stinne mir gesagt hatte, und wartete, während mir das Herz bis zum Hals schlug.
»Wuff«, bellte Stinne nebenan, als Großvater schmunzelnd die Treppe herunterkam, und unterbrach im gleichen Moment die Stromverteilung im Keller. »Wuff, wuff«, fiepte ich aus dem Raum unter der Treppe.
»Mistbande«, zischte Askild und wäre am liebsten sofort wieder zurückgegangen. Trotzdem schwankte er hinter Stinne her, die um ihn herumlief und »Wuff, wuff« machte, bis sie ihn endlich zu dem Spalt in den Raum unter der Treppe gelockt hatte. Nun konnte er einen schwachen Lichtschein sehen und mein jämmerliches »Wuff« hören, das ihm sofort ein Lächeln entlockte.
»Du solltest die Kerzen doch auspusten und im Dunkeln abhauen, wenn er reinkommt«, beschwerte Stinne sich hinterher. »Er sollte nur noch den Schädel aufblitzen sehen.«
Doch beim Anblick von Großvaters mächtiger Gestalt in dem Raum unter der Treppe lag ich steif vor Schreck da und konnte mich nicht bewegen. Auch Askild bekam Angst. Als sein Blick auf den erleuchteten Schädel fiel, erstarrten seine Gesichtszüge, und einige ewige Sekunden lang sah er nicht mehr aus wie er selbst. Möglicherweise verstörte ihn der Schimmer einer Erinnerung an den pulverisierten Speckbacke, Lichtjahre zuvor in einem ähnlichen Keller. Das Entsetzen, das ihm ins Gesicht geschrieben stand, ließ mich jedenfalls aufspringen, mit aller Kraft gegen den Dackelschädel treten und mit einem gewaltigen Satz auf die Wand zuspringen, gegen die ich bestimmt mit dem Kopf geknallt wäre, hätte mich mein Großvater nicht vorher an den Haaren gepackt.
»Au!« heulte ich.
»Er zieht Asger an den Haaren«, rief Stinne, als Vater herunterkam, um nach der Ursache des Radaus zu sehen. »Er ist doch nicht ganz richtig im Kopf!«
Und so kam es, daß Askild wieder einmal aus unserem Elternhaus geworfen wurde. »Euer Großvater betritt dieses Haus nie wieder«, erklärte Vater, obwohl wir genau wußten, was das bedeutete. Eine Woche auf Eis, so wie mein linker großer Zeh, der am nächsten Tag anschwoll, blau wurde und einen Gang in die Notaufnahme erforderlich werden ließ, wo man den ganzen Fuß in Gips legte. Als
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