Hundsköpfe - Roman
Winterschlaf, und sogar der Hundskopf glitt mit seinem unsichtbaren Körper aus Scham und Schuld unter die Oberfläche des Bewußtseins. Der Tod meiner dicken Tante, mein darauffolgender Landesverweis in das alte Vaterland und alles, was seither geschah, kam direkt ins Buch des Vergessens, bis Großmutter unsere stillschweigende Übereinkunft vor ein paar Monaten brach und mich nach zehnjähriger Pause wieder mit Geschichten zu bombardieren begann.
Lieber kleiner Askild , schrieb sie auf eine Postkarte, die in meiner Wohnung in Amsterdam ankam. Irgendwo in Ostdeutschland läuft dein Großvater über eine Ebene, ich habe Angst, daß er nie wieder nach Hause kommt …
In einem Telephonat mit meiner Schwester wenige Tage zuvor war ich gewarnt worden: »Mit Oma sieht es ziemlich schlimm aus, sie redet nur noch dummes Zeug. Ich habe zu Jesper gesagt, daß wir etwas unternehmen müssen, aber wir können sie nicht davon überzeugen, das Haus zu verkaufen. Mein Gott, der alte Schuppen, den Großvater bis über den Schornstein beliehen hat.«
Stinne hat Bjørk nie vergeben, daß sie den toten Askild viel zu lange im Schlafzimmer liegen ließ, bevor sie ihn fanden. Askild hatte schon angefangen zu riechen; bald fünf Jahre ist das jetzt her.
»Wenn sie aus dem Pflegeheim nicht wieder herauskommt, muß sie das Haus verkaufen. Sie schwimmt ja nicht gerade im Geld«, sage ich vorsichtig, denn ich kenne Stinnes Temperament.
»Das ist doch das Allerschlimmste! Ausgerechnet sie, die niemals auch nur einen roten Heller besaß, weil Askild alles versoffen hat, glaubt auf einmal, daß sie eine reiche Frau sei«, ereifert sich Stinne.
»Bist du dir eigentlich darüber im klaren, wie schlimm es um sie steht?« fährt sie fort. »Unsere alte Großmutter glaubt, sie sei Millionärin. Sie hört nicht auf, irgend etwas von unserem Erbe zu faseln, das sie irgendwo vergraben hat …«
»Wo?« frage ich.
»Tja, unglücklicherweise kann sie sich nicht mehr daran erinnern, wo das Geld begraben liegt … Hör mal, du glaubst den Quatsch doch nicht etwa, oder? Ein heimlicher Schatz? Ein Topf am Ende des Regenbogens? Also wirklich! Jetzt will sie auch noch, daß Jesper mit einer Schaufel hinausgeht, um danach zu suchen, hinterher soll ich dann die restlichen Schulden vom Haus davon bezahlen. Wenn Onkel Knut mal aus Jamaika kommt, oder wenn du aus Amsterdam nach Hause kommst, könnt ihr darin wohnen, sagt sie. Das ist doch lächerlich. Wer will denn in einem solchen Loch hausen?«
Als ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich müde und verwirrt. Ich redete nicht so oft mit meiner Schwester. Ich ging zurück ins Atelier und warf einen raschen Blick auf die leeren Leinwände. Schon bald begannen die Geschichten in meinem Kopf zu rumoren. Der vergrabene Schatz, ein sagenumwobener Regenbogenkrug, Askilds Schmugglergeld! Sollte es wirklich wahr sein?
Askild glaubte sein ganzes Leben, daß die Deutschen das Geld an sich genommen hätten. Nachdem sie den flüchtenden Russen erschossen und Großvater verhaftet hatten, drangen sie 1943 spät in der Nacht bei der Witwe Knutsson in der Håkonsgate ein und durchwühlten alles. Sie zerschlugen den Schreibtisch des verstorbenen Kapitän Knutsson, rissen die Regale von den Wänden und leerten die drei Säcke mit Schmuggelgut, während die Witwe Knutsson wie ein Gespenst im Flur stand und in Wehgeheul ausbrach. Aber sie fanden lediglich die drei Säcke, ein halbes Hundert Etiketten und Banderolen sowie neunzehn norwegische Kronen, die Askild noch nicht in die Matratze eingenäht hatte. Doch die Matratze ließen sie liegen.
Im Gefängnis schlugen sie Askild mit der flachen Hand mehrfach ins Gesicht und fragten, ob er es gewesen wäre, der den deutschen Wachtposten am Holzlager niedergeschlagen hätte. Wovon sprachen sie überhaupt? Askild behauptete, nicht zu verstehen – er hatte dem Russen doch nur helfen wollen, Bauholz zu löschen … Diebstahl? Davon hatte er wirklich keine Ahnung … Sie fragten, ob er der Meinung sei, sie wären Idioten, und Askild schüttelte den Kopf, nein, natürlich nicht, aber ich war’s nicht! schrie er, als einer der Deutschen seine Hoden packte und zudrückte. Askilds taubes Ohr, das zu diesem Zeitpunkt bereits seit einer Woche heulte, wechselte in eine höhere Tonlage, und als er eine Stunde später brüllte: »Zum Teufel, es war der Russe!«, hatte er das Gefühl, so gut wie vollkommen taub zu sein. Ihm wurde schwarz vor Augen, und einen Moment lang verschwand der
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