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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Viertel verloren hatte.
    »Du mußt dann ein Vorbild sein«, fuhr Askild fort und ergänzte mit grimmiger Miene: »Also nimm dich zusammen.«
    Segelohr, der nicht viel von der Unterhaltung verstanden hatte, spürte eine gewisse Unzufriedenheit mit seiner Person. Sehr viel später sollte sich dieses Gefühl in seinem Lieblingsausdruck es geht bergab manifestieren – wenn er sich beispielsweise nach einer anstrengenden Vorweihnachtsfeier im Stuhl zurücklehnte, erleichtert aufseufzte und plötzlich erklärte: »Für Papa ist es doch sein ganzes Leben lang nur bergab gegangen.« Oder bei einem Geschäftsessen, wenn er sich in den unglücklichen Investitionen eines Konkurrenten sonnte: »Mit X geht es bergab, würde mich nicht wundern, wenn er noch vor Jahresende verkaufen muß.« Als Vierjähriger vor seinem nach Terpentin stinkenden Papa hatte er allerdings noch das Gefühl, daß es mit ihm bergab ginge, und in einem plötzlichen Wutanfall brach es aus ihm heraus: »Und woher kommt nun dieser Scheißschwesterbruder?«
    »Wenn Schweine kopulieren, kommen Ferkel, und wenn die Menschen ficken, kommen Kinder«, antwortete Askild und rülpste. »Geh jetzt raus und spiel.«
    »Askild!« entfuhr es Bjørk. »Wie redest du denn!«
    »Der Bursche kann die Wahrheit schon vertragen«, entgegnete Askild. Bjørk allerdings war damit gar nicht einverstanden. »Dieser Mann treibt mich in den Wahnsinn«, erzählte sie ihrer Schwester leise am Telephon. »Voll wie ein Wirtshaus, eine Schnauze wie ein Hafenarbeiter, und dann dieser schreckliche Gestank nach Terpentin. Gott, wie ich Bergen vermisse!« Line, die sich in den letzten Jahren an Bjørks Klagen gewöhnt hatte, ließ die Suada mit einem kleinen besserwisserischen Lächeln über sich ergehen. »Ich sage dir, die Ausdrücke, die er verwendet! Ich werde rot, wenn ich nur daran denke«, fuhr Bjørk fort und schüttelte sich, weil gewisse Worte, von einem dreckigen Mundwerk ausgesprochen, der Wahrheit näherkamen, als sie sich eingestehen mochte. Tatsächlich hatte ihr Sexualleben seit Segelohrs Geburt stagniert, doch in letzter Zeit war es auf eine Weise wiederbelebt worden, die sich noch am ehesten mit dem Begriff Ficken beschreiben ließ. Angetrunken, betrunken oder total besoffen kroch Askild zu seiner Frau ins Bett und nahm sie mit einer Gewalt, die sich nur durch unterdrückte Frustrationen erklären ließ, während Phantasien vom sanften, melancholischen Duft eines Arztes Bjørks Träume liebkosten.
    All das erwähnte sie ihrer Schwester gegenüber nicht. »Dieser Mann macht mich wahnsinnig«, beklagte sie sich statt dessen und ergänzte mit einer beinahe nicht mehr zu hörenden Stimme: »Manchmal wünsche ich mir, daß er sich zu Tode säuft.« Dann legte sie den Hörer auf und machte sich auf die Suche nach dem kleinen Segelohr, der im Schrank unter der Küchenspüle verschwunden war.
    Da noch immer ein gleichmäßiger Strom stinkender Materie aus den Ohren des Sohnes floß, beschloß Bjørk eines Tages, an dem sie ohnehin in der Stadt zu tun hatte, mit ihm zu einem Kinderarzt zu gehen. Der Arzt hieß Pontoppidan und war ein älterer Herr. Umgeben von allerlei Attributen der medizinischen Wissenschaft – Reagenzgläsern, Blutdruckmessern, dicken Büchern über Onanie im Kindesalter, einem Spezialgebiet des Arztes – ja, beim Anblick der Arzttasche und gehüllt in einen sterilen Duft, der sie an etwas Wohlbekanntes erinnerte, entspannte sich Bjørk zum ersten Mal seit langer Zeit. Segelohr saß ganz still, als der Arzt interessiert seine Ohren untersuchte. Im ersten Augenblick schienen ihn die Größe der Ohren und ihre rechtwinklige Plazierung am Kopf am meisten zu beschäftigen, danach erst zeigte er Interesse am Kern der Sache, nämlich der stinkenden Materie, die dem Patienten in einem gleichmäßigen Strom aus den Ohren floß. Dieser Teil der Untersuchung dauerte ungefähr eine Minute. Dann setzte sich Pontoppidan in seinem Stuhl zurück, zündete sich eine Pfeife an und ließ eine weitere Minute still verstreichen, bevor er ausrief: »Mittelohrentzündung, liebe Frau? Nein, lassen Sie es mich klar und deutlich sagen: Der Junge steckt sich Sachen in die Ohren.«
    »Ja, aber ich habe ihm doch gesagt, daß er es nicht darf. Niels! Habe ich dir nicht verboten, dir Dinge in die Ohren zu stecken?« schimpfte Bjørk.
    Der kleine Niels junior nickte, und Bjørk, die auf eine Diagnose und ein paar beruhigende Tabletten gehofft hatte, schüttelte nur resignierend den Kopf:

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