Hundsleben
verlassen?
Himmel, das ist ja eine Massenflucht.« Reiber überlegte kurz. »Seid ihr
gemeinsam … ich meine …«
»Nein, i wo, das hat sich so ergeben, wir sind halt
nur alte Freunde.«
»Aha, Freunde«, sagte Reiber, und Jo hatte irgendwie
den Eindruck, dass sein Ton komisch war.
Reiber bat Jo, ein Protokoll mit den Kollegen zu
machen, verabschiedete sich, und als er schon halb im Türrahmen stand, fragte
er: »Gehst du heute Abend mit mir essen, falls das dein Programm hier zulässt?«
Jo wartete ein paar Sekunden. »Gerne, hier ist die
Luft, glaub ich, etwas raus. Holst du mich am Hotel Abion ab? Das ist irgendwo
im Spreebogen. Modern, viel Glas, Vierundzwanzigstundenrezeption, sehr
hauptstädtisch. Kennst du das?«
»Ja, passt halb neun?«
»Hm, da bin ich Landei zwar sonst schon im Bett, aber
für die Metropole an der Spree mach ich eine Ausnahme!« Jo zwinkerte ihm zu.
»Das freut mich. Ich …« Reiber kam nicht dazu, seinen
Satz zu beenden, weil die Laudatorin hereinstürmte, in einer Geschwindigkeit,
die angesichts ihrer Stöckel zumindest auf langes Training und immense
Körperbeherrschung schließen ließ. Ihre Stimme hingegen war weniger beherrscht,
sie überschlug sich regelrecht.
»Sie sind weg. Sie sind weg, jetzt tun Sie doch was!«
»Gnädige Frau, wer ist weg?«, fragte Reiber, und Jo
erinnerte sich, dass er das schon vor sieben Jahren draufgehabt hatte, dieses
modulierte »Gnädige Frau«.
»Schauriges Schattenreich, Düsterer Donnerhall und
Orgiastischer Orkus. Sie sind weg!«
Reiber hatte die Stirn gerunzelt. Er sah die Dame
durchdringend an. »Gnädige Frau, Schauriges Schattenreich?«
»Ja, das Bild. Schauriges Schattenreich war ein
Höhepunkt ihres Schaffens, die anderen beiden auch. Eine Trilogie
gewissermaßen.«
»Und diese Werke sind weg?«, fragte Reiber.
Die Laudatorin packte Reiber plötzlich am Arm und
zerrte ihn in den Nebenraum, zurück in die Weinstube. Zwischen anderen
pfaffenbichlerischen Farborgien war da nur eine weiße Wand. Zettelchen mit den
Titeln waren mit Stecknageln an die Wand gepinnt. Sie nahmen sich nun seltsam
einsam aus, wirkten wie diese aufgespießten Insekten.
»Da hingen sie, oh mein Gott, das überlebe ich nicht.«
Die Laudatorin fächelte sich mit einem imaginären Fächer Luft zu.
»Sie meinen, die Bilder sind just eben verschwunden?«,
fragte Reiber.
»Just eben! Sie machen mir Spaß. Weil Ihr Kollege uns
festgehalten und eingekerkert hat, konnte jemand hier eindringen und diese
Werke von unschätzbarem Wert entwenden. Unter den Augen der unfähigen Polizei,
Sie sind …«
Reiber unterbrach sie. »Gnädige Frau, behalten Sie
Ihre Rede, bevor Sie etwas formulieren, was Ihnen eine Klage wegen
Beamtenbeleidigung einbringen könnte! Also, wann haben Sie die Bilder zuletzt
gesehen?«
»Na, vorhin, als ich meine kleine Ansprache gehalten
habe, als meine kleinen Worte dem großen Werk von Leanora nicht haben gerecht
werden können. Oh mein Gott, und nun ist sie tot! Wie grauenvoll. Wer macht
denn so was? Leanora war ein Engel, wie sie sich um all diese armen Hunde
gekümmert hat, wie sie gerungen hat mit dem Elend, wie sie …«
»Gnädige Frau«, unterbrach Reiber sie erneut, »ich
verstehe Ihren Schmerz, der Tod eines lieben Menschen, ach …«
Jo versuchte wegzusehen, denn es war angesichts der
toten Frau Ausrufezeichen wirklich ungeziemend, zu grinsen, aber wie Reiber die
Sprachmelodie der Dame auffing und in ihren Ton einfiel, war wirklich großes
Kino. Großes Kino, das Wirkung zeigte. Die Stimme der Dame verlor das Schrille,
sie schien ihr Energiedepot aufgebraucht zu haben, sie wirkte wie eine
Aufziehpuppe, die sich leer gelaufen hatte. Sie sah Reiber fast so an, als wäre
er der Messias.
Ein Messias, der nun fragte: »Waren die Bilder denn
wertvoll? Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich sind sie wertvoll, aber
hatten sie einen Wert auf dem Kunstmarkt? Was hätte ich für eine echten Pfaffenbichler
denn zahlen müssen?«
»Ja nun, ich meine, unter uns Tierfreunden, also …«
»Gnädige Frau, was haben ihre Bilder denn so
eingebracht?« Reiber hatte den Blick fest auf die Dame gerichtet.
»Oh, wir hatten letztes Jahr eins auf einer Vernissage
am Tegernsee, bei der Britt Göttlöber die Schirmherrschaft übernommen hatte,
das hat tausend Euro erzielt.«
Jo überlegte. Britt Göttlöber, das war diese
Schauspielerin, die früher in irgendwelchen zweitklassigen Humorfilmchen
mitgemacht und schauerliche Sketche in einer
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