Hundsleben
wilden Süden, wie
Sie so trefflich sagen, was entdecken, machen Sie es genauso?«
»Sicher, Reiber.« Gerhard stöhnte kurz auf. »Jetzt hab
ich gerade die Kollegen in Schongau wegen dieses Tierschutzfalls bedauert, und
nun wird es meiner.« Er sah auf die Uhr. »Na toll, einen richterlichen
Beschluss aus München krieg ich heute sicher keinen mehr.«
»Na ja, scheuchen Sie die Spusi halt gleich morgen
früh hin«, empfahl Reiber.
Hm, dachte Gerhard, er nahm mal an, dass sowieso schon
alles unter Schnee versunken war. Schnee verdeckte vieles gnädig, aber Schnee
war in so einem Fall wirklich kontraproduktiv.
»Wir hören uns morgen, Reiber.«
»Prima, und danke, Weinzirl.« Reiber machte eine kurze
Pause. »Ich grüße dann Jo von Ihnen.«
»Jo?«
»Ja, um die Reihe der Verkettungen zu komplettieren: Jo ist Mitglied dieser Delegation, der auch Frau Pfaffenbichler angehörte. Die
Delegation reist morgen früh ab, einen Tag eher als geplant, das Ableben der
Künstlerin hat bei denen wohl die Lust auf Berlin etwas geschmälert.«
Jo! Sie hatte da so was erzählt, aber Gerhard hatte –
zugegebenermaßen – nicht so genau zugehört. Jo war sowieso ständig irgendwo, Jo
war stets auf Reisen, selbst wenn sie nur nach Garmisch fuhr. Bei ihr wirkte
das wie ein Staatsakt. Jo hatte immer und überall wichtige Termine, sie war
immer zu spät dran, ihr Tagespensum hätte locker für drei Tage gereicht. Jos
Leben war so bunt, dass er sich wirklich nicht alles merken konnte, was sie so
vorhatte.
Gerhard lachte trocken. »Na, dann haben Sie ja die
volle Packung Gespenster aus der Vergangenheit zu bewältigen.«
»Ach, Weinzirl, es könnte schlimmer kommen. Bis dann.«
Als er aufgelegt hatte, hatte Gerhard plötzlich ein
ungutes Gefühl. Wieso richtete Reiber Jo Grüße aus? Das klang so intim, so als
würden sie sich andauernd treffen. Dabei konnte sich Gerhard beim besten Willen
nicht vorstellen, was Reiber und Jo sich zu sagen hätten. Er hatte diesen
Reiber damals im Allgäu nur schwerlich ertragen können, aber im Gegensatz zu
Dr. Johanna Kennerknecht, deren Mund immer schneller ging als ein
Maschinengewehr und an deren emotionalen Berg- und Talfahrten alle stets Anteil
hatten, war er, Gerhard Weinzirl, ja noch wohlmeinend. Jo hatte sich noch nie
durch Diplomatie hervorgetan, im Falle von Reiber schon gar nicht. Sie würde
morgen wiederkommen. Dann würde er ihre Geschichte sicher in allen bunten
Farben ihrer Eloquenz zu hören bekommen. Eigentlich wunderte sich Gerhard, dass
sie ihn noch nicht angerufen hatte. Sollte er? Aber nein, das alles hatte bis
morgen Zeit.
Gerhard versuchte den Kollegen Fischle nochmals zu
erreichen, um ihm die frohe Kunde zu überbringen, dass aus dem Tierschutzfall
ein Mord geworden war. Der Mann war aber weg, nach seinen ganzen
Doppelschichten hatte er Schlaf verdient. Den Staatsanwalt erreichte Gerhard im
Restaurant, schilderte ihm den Fall und erhielt das Versprechen, dass er morgen
in der Frühe ein Fax mit einem vorläufigen Beschluss hätte.
»Müssen Sie mir so was kurz vor Weihnachten noch
antun?«, fragte er noch.
Na, ihn fragte doch auch keiner!
Reiber hatte von der Lobby aus angerufen, dass er
unten sei. Jo war glücklich den Doppelzimmern entgangen, die man sich als
Eingeladene zu teilen hatte. Mit einer wildfremden Person, womöglich mit Frau
Lepipfa! Die wäre allerdings dann heute als Zimmergenossin ausgeschieden.
Sei nicht so makaber, gemahnte sich Jo und sah
nochmals in den Spiegel und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Dass sie
Falten um die Augen bekam, na gut. Falten kommen auch vom Lachen. Aber diese
kleinen Omafältchen da um den Mund, die fand sie unerträglich. Aber sosehr sie
ihnen mit wechselnden Cremetöpfchen zu Leibe rücken wollte, die erhoffte
Wirkung blieb aus. Egal, ob sie es sich wert war oder aber Frau Ferres’
Kaviar-Ratschlägen folgte. Das war die Rache der sorglosen siebziger und
achtziger Jahre. Wer hatte sich da schon eingecremt? Braun hatte man werden
wollen beim Surfen und beim Skifahren. Aalglatt durch Melkfett und Vaseline
hatte man die Sonne eingefangen, die UV -Strahlen
auch. Aber das half jetzt auch nichts, hoffentlich hatte Reiber keinen so hell
erleuchteten Schicki-Schuppen auserkoren, wo man ausgeleuchtet war bis in die
letzte Pore. Lieber was Schummriges.
Jo rief sich zur Räson: Eigentlich war es völlig egal,
ob Reiber ihre Falten sah oder nicht. Es versprach einfach lustig zu werden,
den einstigen Klemmi Reiber neu zu
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