Hundsleben
mir selbst die Hauptrolle gebe und dann eine
weibliche Akteurin einplane. Die letzten Male hätte ich vielleicht fragen
sollen, ob sie die Rolle überhaupt will.«
Wenn er jetzt gefragt hätte, ob sie die Rolle wolle,
hätte sie Ja gesagt, aber er sah auf die Uhr, lachte: »So spät, die kehren uns
hier gleich noch raus.« Er orderte die Rechnung, und als er einen Absacker in
seiner Wohnung anbot, war Jo gespannt auf das Drehbuch. Gespannt wie lange
nicht mehr, wie noch nie womöglich!
Reibers Wohnung lag in der Thomasiusstraße und war
ganz anders, als Jo erwartet hätte. Sie durchquerten einen Innenhof und
landeten im Hinterhaus. Reiber hatte die Erdgeschosswohnung und den ersten
Stock.
»Als die Regierungsbeamten von Bonn nach Berlin
umziehen mussten, ging hier das große Wohnungsgeschacher los. Der Vorbesitzer
hat gleich zwei Wohnungen übereinander gekauft und als Maisonette verbunden.
Ganz gut, weil das Erdgeschoss allein recht dunkel ist. Der Mann ist aber
retour nach Bonn, und ich hab sie gekauft. Ich mag die Lage und die Tür zum
Hof. Ich stell dann meine Palmen raus und starre auf das Stück Himmel, den
Himmel über Berlin.«
Jo, die sich umgesehen hatte, drehte sich langsam zu
ihm hin. Das Fenster im Nacken, die große Stadt im Nacken, es war keinerlei
Verkehrslärm zu hören, nur ganz gedämpft Klavierspiel, das wohl aus der Wohnung
eins drüber kam. Aus der Anlage ertönte Bonnie Tyler. Reiber ging einen Schritt
auf sie zu. Er drückte ihr ein Glas Wein in die Hand.
»Willst du mich betrunken machen?« Das sollte witzig
klingen, war aber als Gag eher misslungen, fand Jo. Sie war nervös, keine
Frage, ihre Souveränität bröckelte.
»Nein, ich möchte, dass du alle deine Sinne beisammen
hast. Das lohnt sich.«
»Bist du so gut?« Auch diese Witzelei kam ihr
irgendwie unsouverän über die Lippen.
Sie standen noch immer eine Armeslänge voneinander
entfernt. Jo wollte Zeit schinden.
»Dann musst du aber ein Glas Wein mittrinken.«
»Nein, muss ich nicht. Ich habe eine fiese Allergie
gegen Alkohol, ich trinke nicht aus Lust und Tollerei all den Tee und all das
Wasser. Ein Bierchen ab und zu, aber selbst das bekommt mir nicht wirklich«,
sagte Reiber.
»Oh, tut mir leid, dann war das mit dem Matetee damals
im Allgäu keine Schrulligkeit. Das Wasser heute auch nicht. Ich …« Jo brach ab.
»Merkst du was?«, fragte Reiber sehr sanft, nahm ihr
das Glas wieder aus der Hand, stellte es auf den Tisch und stand so vor ihr,
dass kein Blatt Papier mehr zwischen sie gepasst hätte. Und doch berührte er
sie nicht.
Jo schluckte. Himmel, das war ja peinlich. Der Typ
brachte sie völlig aus dem Konzept. Mit einem Lächeln, das Clooney sicher nicht
so hinbekommen hätte, drehte er sich weg und ließ sich auf die Couch gleiten.
Leise erklang Bonnie Tylers rauchige Stimme, »Total
Eclipse of the Heart«: »Every now and then I get a little bit nervous that
the best of all the years have gone by.«
Reiber stand auf. Im Radio kam nun Juli: »Warum,
warum, warum ist doch egal, denn heute Nacht sind nur wir zwei wichtig …«
»Hast du da eine CD ,
die nach Plan die richtige Musik spielt?« Das war wieder so ein doofer Joke –
geboren aus der Verunsicherung.
Reiber antwortete nicht. Er küsste hingegen sehr gut,
und er roch so gut. Es fühlte sich verdammt gut an, er fühlte sich gut an. Nach
einer gewissen Zeit löste sich Jo aus seiner Umarmung. »Ich glaub, ich muss
gehen. Der Bus fährt morgen so früh, ich …«
Reiber lächelte. »Kein Sex beim ersten Date? Ist es
das?«
Jo sah ihn überrascht an. Diese Frage – an sie! Sie war
doch immer die gewesen, die stets Sex beim ersten Date gehabt hatte. Sie war
nie das Mädchen gewesen, das die Typen erst heiß gemacht hatte und nach ein
bisschen Geknutsche und Gefummel dann weggeschickt. Nein, sie hatte das immer
durchgezogen, volles Programm. Das schale Gefühl am nächsten Morgen inklusive.
Sie sah Reiber an und versuchte ein schiefes Lächeln.
»Eigentlich nicht, eigentlich eher im Gegenteil.«
Gott, war das schon wieder dämlich! »Ich meine, du bist irgendwie zu …«
»Uninteressant?«, fragte Reiber.
»Nein, zu interessant. Ich glaube, ich befürchte, ich
mag dich sehr, ich …«
»Ach so, du schläfst nur mit Männern, die du nicht
magst?« Reiber lachte.
Jo sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. »Volker, ich
…«
Er hob die Hände. »Halt, alles zurück, das war ein
Witz! Fahr du erst mal nach Hause, wir sehen uns. Sicher.« Er küsste
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