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Hundsleben

Hundsleben

Titel: Hundsleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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erleben.
    Als sie den Aufzug heranholte, hatte sie Herzklopfen.
Der Spiegel in der Kabine gab ein völlig unvorteilhaftes Bild ab. Aber war das
der Spiegel, oder hatte sie so feiste Backen? Und spannte die Bluse nicht zu
sehr über den Titten? Also eben so, dass die Gratwanderung zwischen sexy-eng
und peinlich gelang? Sie spielte mit dem Gedanken, sich nochmals umzuziehen,
verwarf ihn aber dann. Himmel, was machte sie wegen Reiber eigentlich so einen
Umstand?
    Reiber stand mitten in der Lobby des Hotels Abion. Er
drückte sich nicht irgendwo am Rande herum oder lehnte an der Bar. Nein, er
stand breitbeinig im Raum, und wieder hatte Jo das gute Gefühl, dass diesen
Mann nichts umwerfen würde. Die Schulter zum Anlehnen? Sie hatte wirklich einen
an der Mütze! Mit einem »Hallo« ging sie auf ihn zu.
    Reiber gab ihr die Hand. »Ich wusste nicht genau,
wonach dir ist, aber ich dachte, wir gehen in die ›Ständige Vertretung‹, also
eine Kneipe, die so heißt.«
    »Klar«, sagte Jo. Ihre Begeisterung legte sich kurz,
denn hier gab’s auch wieder Buletten. Sie rettete sich mit Flammkuchen. Die
Kneipe servierte Kölsch, in den typischen 0,2-Gläsern. Jo, die sonst eher
Weintrinkerin war, fand den Brauch schon respektabel, dass da ständig solche
Kinderbierchen offeriert wurden, kaum hatte sie eins leer.
    Reiber bestellte sich Mineralwasser und auch so einen
Flammkuchen.
    Jo fühlte sich gut; auch in den kurzen Spannen, in
denen kleine Gesprächspausen entstanden, war das eher angenehm und entspannend
als anstrengend im Ringen nach Gesprächsstoff.
    »Und der Zoo ist noch immer komplett?«, fragte Reiber
gerade.
    »Ja, er wächst eher. Ich wohne mit einer Freundin
zusammen in einer WG , und ohne
Tiere geht es einfach nicht. Tiere sind unbestechlich, frei von Taktik. Tiere
sind echt, frei von Berechnung. Kinder vielleicht auch, aber auch nur sehr
kurz. Bevor sie denken lernen, bevor sie korrumpierbar werden«, sagte Jo.
    »Menschenhasserin?«, fragte Reiber mit einem Lächeln.
    »Nein, aber manchmal machen es einem die Menschen
schon schwer, oder?«
    »Und diese Frage an einen Kriminaler! Sie machen es
mir sehr schwer, aber meist deshalb, weil sie es sich selbst schwer machen«,
meinte Reiber.
    »Ach so, dir passiert das natürlich nicht. Herr Reiber
hat das Leben im Griff.« Eigentlich war das eine dumme Provokation, aber nun
war es zu spät.
    Reiber schien kurz zu überlegen, dann sagte er: »Oh
nein, gerade im Allgäu war ich eine Zumutung! Eine Landplage! Ich wurde von Tag
zu Tag unzufriedener und müder. Eine Müdigkeit, die nichts mit Schläfrigkeit zu
tun hatte oder sanftem Wegdösen, es war eine böse Müdigkeit. Ich habe es
gehasst, Entscheidungen zu treffen, ich hätte lieber einfach Befehlen gehorcht.
Eigenverantwortlichkeit ist vielleicht das höchste Maß an Freiheit, aber es
erfordert auch das höchste Maß an Disziplin und Selbsterkenntnis.«
    Jo sah ihn überrascht an. »Aber du warst doch immer
der Macher-Typ. Immer souverän.«
    »Ich wollte so wirken, aber es ist schwer, Chef zu
sein. Ich habe mir Tage gewünscht, wo ich als reiner Befehlsempfänger einfach
mal Briefe schichte. Menschen zu führen ist eine schwindelerregende
Motivationsaufgabe. Ich habe Weinzirl immer bewundert, weil …«
    »Gerhard, den Hansdampf in allen Gassen?«, unterbrach
ihn Jo.
    »Das dachte ich anfangs auch, aber er verfügt über
Klarheit, über Lebensenergie, über einen mitreißenden Optimismus. Einer wie
Weinzirl hat nicht einfach Glück, er breitet die Arme aus und heißt das Glück
willkommen. Es gibt solche klaren Menschen. Aber das weißt du doch am besten.
Ich verstehe nicht, warum ihr nie ein ernsthaftes Paar geworden seid.«
    »Weil in mir immer die Panik aufsteigt wie Hochwasser,
wenn es ernst wird. Gegenliebe macht mir Angst.« Jo stockte, wieso erzählte sie
das Reiber, ausgerechnet Reiber?
    »Kenn ich: Was, wenn man zugeben muss, dass die
Richtige gefunden ist? Diese Verantwortung! Kein Geplänkel mehr, kein Spiel auf
Zeit oder mit der Zeit.«
    Obwohl er das ein wenig ironisch formuliert hatte,
spürte Jo den Ernst in seinen Worten. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, ihm gedankt
für die Worte, die ihr Kernproblem auf den Punkt brachten. Es war, als könne er
in ihre Seele sehen. Sie hätte so viel sagen wollen, aber die Worte blieben
irgendwo stecken.
    Reiber fuhr fort: »Beruflich bin ich auf einem ganz
guten Weg, aber privat sind meine Drehbücher Müll. Das Problem ist nämlich,
dass ich welche schreibe,

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