Hundsleben
sie ganz
zart auf die Nase, dann holte er ihre Jacke, half ihr formvollendet hinein.
»Soll ich dir ein Taxi rufen?«
»Ich geh ein paar Meter bis zum nächsten Taxistand.
Kopf lüften!«, sagte Jo.
»Gut.« Er küsste sie nochmals, diesmal auf den Mund.
»Bis bald, meine kleine Allgäuerin.«
Als Jo auf die Thomasiusstraße trat, pfiff ein
eiskalter Wind durch den Kanal aus Häusern. Es war drei Uhr, dunkel und doch
hell, weil Städte keine wirkliche Dunkelheit kennen. Sie ging ein paar Minuten,
stoppte ein Taxi. Der Fahrer trug einen Turban und kaute an einem Schokoriegel.
Er sagte kein einziges Wort. Als er vor dem Hotel anhielt und Jo eine Quittung
verlangte und irgendwas von Finanzamt und Businesstrip faselte, sagte er
plötzlich ganz ohne Akzent:
»Ganz schön früh für einen Geschäftstermin, junge
Frau. Gutes Gelingen. Oder ist es schon gelungen?«
Eigentlich war das ganz schön frech, aber Jo grinste.
»Danke der Nachfrage, das Gelingen steht noch aus.«
Er grinste zurück und drückte ihr einen Schokoriegel
in die Hand. »Immer gut.« Er winkte ihr zu und quietschte im Kavaliersstart von
dannen.
Es war fünfundzwanzig nach drei, höchste Zeit für
Powerschlaf, eine Dusche und Powerzusammenpacken. Der Delegation war die Lust
auf Berlin vergangen. Die Abfahrt war vorverlegt worden, und der Bus würde
pünktlich um sieben fahren, auf die Sekunde genau, vermutete Jo. Das hatte er
die letzten Tage immer getan, nur Herr Ostbayern war immer zu spät gewesen.
Bevor sie auf das Kissen sank, griff sie ihr Handy und
tippte eine SMS . »Gute Nacht.
Hoffentlich bis bald. Alles Liebe, Jo.« Hatte sie damit den richtigen Ton
getroffen, nicht zu euphorisch, aber auch nicht à la »Baby, ich ruf dich an«?
Oder hätte sie das »Hoffentlich« weglassen sollen? Egal, sie war zu alt zum
Taktieren, fand sie. Wie hatte Reiber gesagt: »Kein Geplänkel mehr, kein Spiel
auf Zeit oder mit der Zeit.«
SECHS
Am Freitag in der Frühe ging es Schlag auf Schlag. Die
Durchsuchung war angeordnet, die Spusi bereits auf dem Weg. Gerhard
telefonierte mit dem Schongauer Krankenhaus, informierte den Pressesprecher und
hatte dann Herrn Fischle am Apparat.
»Na, das ist ja ein Ding. Wer ermordet die Dame denn
ausgerechnet in Berlin?«
»Gute Frage, die stellt sich der Berliner Kollege auch
gerade. Und bei Ihnen, alles klar?«, fragte Gerhard.
»Ich habe mal immerhin sieben Stunden geschlafen, um
mich herum kotzen und scheißen immer noch alle. Oder haben vierzig Grad Fieber.
Oder beides. Und, äh, Herr Weinzirl: Könnten Sie den Pressesprecher ins Bild
setzen? Die Journalisten rennen uns die Bude ein. Erhängte Hunde, das zieht,
bald haben wir sie alle am Hals. Alle!«
»Schon geschehen. Wie sieht es denn draußen auf ›Gut
Sternthaler‹ aus?«, fragte Gerhard.
»Belagerung, was sonst? Ich habe, Ihr Einverständnis
vorausgesetzt, absperren lassen, aber ich hab ja kaum Leute.«
»Ich schick Ihnen als Ablösung meine beiden
Mitarbeiter raus. Melanie Kienberger ist sehr gut darin, TV -Leute abzuwimmeln. Sie hat da was von
einem Zerberus. Und dem Kollegen Steigenberger muss ich nicht mal einen
Maulkorb anlegen, er beantwortet Fragen immer so, dass die Antwort definitiv
keinen Zusammenhang zur Frage hat.«
»Fahren Sie denn nun auch raus?«, fragte Fischle.
»Ja, anschließend. Ich muss der Spusi ja nicht auf den
Füßen rumtreten. Ich möchte jetzt erst mal diese Frau Eisele befragen. Die war
bis dato nämlich im ärztlich verordneten Drogenrausch, soll jetzt aber wieder
ansprechbar sein.«
Das Schongauer Krankenhaus lag in einer
Schneelandschaft, zusammengebaute Klötzchen auf weißem Grund. Auch Schongau
kannte den Winter, im Gegensatz zu Weilheim. Unter dem Glasdach vor dem Eingang
drückten sich einige frierende Raucher herum, die Stelzen, auf denen das
Vordach aufsaß, wirkten ziemlich windig. Schon jetzt graute es Gerhard. Er
hasste Krankenhäuser, obwohl das hier hell und freundlich wirkte.
Frau Eisele war allein im Zimmer, saß auf einem
Krankenhausstuhl an einem Krankenhaustisch. Wieso machten einen allein diese
Möbel schon depressiv, vom typischen Geruch mal ganz abgesehen? Gerhard hatte
augenblicklich das Gefühl, jemand schnüre ihm die Luft ab, obwohl es eigentlich
nur nach Kaffee roch. Frau Eiseles zwei Zimmergenossinnen schienen irgendwo im
Haus auf Wanderschaft zu sein. Erika Eiseles Alter war schwer zu schätzen. Sie
konnte Mitte vierzig sein oder Ende fünfzig. Sie war eine Matrone mit
gewaltigem Vorbau und
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