Hundsleben
hatte ein Gesicht, das nicht zu Falten neigte. Ein
flächiges rundes Gesicht. Farblos. Sie wirkte wie jemand, der gutmütig war, wie
eine Frau, die die meisten mochten. Sie war keine Bedrohung, mittelalt,
mittelfett, mittelhübsch, sie war der beruhigende Durchschnitt. Gerhard stellte
sich vor.
»Frau Eisele, geht’s einigermaßen? Sind Sie imstande,
ein paar Fragen zu beantworten?«
Sie nickte.
»Frau Eisele, ich muss Sie das jetzt fragen: Was hat
sich am Donnerstag genau ereignet?«
Erika Eisele begann zu weinen. Gerhard reichte ihre
eine Serviette von ihrem Krankenhaustischchen. Sie schluchzte nur immer wieder.
»Wer tut denn so was, so was?«
»Deshalb bin ich da, ich möchte das herausfinden.« Für
den Wolfhound, dachte Gerhard, zumindest für den Wolf. »Frau Eisele, können Sie
mir bitte den Tag schildern?«
»Lea Pia war seit Dienstag in Berlin. Sie hatte eine
Vernissage geplant, ein schönes Aushängeschild für unsere Sache war das. Wenn
Lea Pia weg war, hatte ich Bürodienst. Ich bin immer um neun gekommen, da war
dann der Moritz schon da. Er ist unser Tierpfleger und hat stets Dienst von
acht bis achtzehn Uhr. Ein guter Junge, er hat so viele Überstunden, der Junge,
und will nie Geld dafür. Höchstens mal einen freien Tag.«
»Frau Eisele, wie war das speziell am Donnerstag?
Bitte.« Gerhard sah sie aufmunternd an.
»Der Moritz hat sie gefunden. Er hat mich angerufen,
dass ich kommen soll. Dass es ein Problem gäbe«, schniefte die Frau.
»Wann waren Sie dort?«
»Um halb zehn etwa. Ich habe den Moritz nicht gleich
gefunden, und da bin ich zu den Hunden, und dann hab ich …«, sie schluchzte
auf, »sie gesehen. Es war so grauenvoll. Ich wurde, glaub ich, ohnmächtig. Der
Moritz hat mich gestützt, zum Haupthaus gebracht, und dann kam die Polizei und
der Arzt und der Herr Eicher, glaub ich. Es war einfach nur grauenvoll, ich
sehe das Bild vor Augen, es verlässt mich nicht mehr. Was, wenn es mich nie
mehr verlässt?« Sie sah ihn so verzweifelt an. So als könne er ihr helfen, als
müsse er ihr helfen.
»Es wird vergehen«, sagte Gerhard und wusste, dass er
wieder mal log. Solche Bilder vergingen nicht, sie verloren vielleicht ihren
grellen Anstrich, würden ein wenig verblassen wie Wandfarbe unter der Sonne,
aber sie vergingen nicht zur Gänze. »Frau Eisele, das heißt, Sie haben
eigentlich gar nichts gesehen, außer den Hunden?«
Die Antwort blieb aus. Gerhard wartete, bis sie sich
beruhigt hatte. Die Aussagen von Moritz, Herrn Eicher und Frau Eisele deckten
sich. Man konnte davon ausgehen, dass die Hunde in der Nacht aufgeknüpft worden
waren. Nach einer Weile fragte Gerhard: »Frau Eisele, Sie haben auch eine Karte
für das Schließsystem?«
»Ja, ich hab eine, Eicher, Moritz und Lea Pia.« Frau
Eisele schnäuzte sich.
»Haben Sie die Ihre?«, fragte Gerhard.
Sie stand auf, nestelte am Nachttisch, förderte einen
Geldbeutel zutage. Die Scheckkarte steckte ordnungsgemäß drin. Gerhard war sich
dessen bewusst, dass es natürlich möglich war, die Sicherung zu umgehen,
allerdings mit einem gewissen Maß an Fachwissen.
»Wenn Frau Pfaffenbichler auf Reisen war, wäre es da
nicht sicherer gewesen, wenn jemand die Nacht im Haus verbracht hätte?«, wollte
er nun wissen.
»Lea Pia wollte keine Fremden im Haus.« Diesmal
schwang in ihrer Stimme leiser Unmut mit. »Sie war ja auch selten über Nacht
weg, nur eben wegen dieser Vernissage, das war ihr ungeheuer wichtig. Sie war
richtiggehend nervös, ungewöhnlich für sie. Sie war sonst immer sehr, sehr …«,
sie zögerte, »souverän.«
Gerhard spürte, dass sie statt »souverän« lieber
»kalt« verwendet hätte. Frau Eisele war der Typ offenes Buch. Er ließ das
unkommentiert und fragte stattdessen: »Frau Eisele, können Sie mir mal kurz
umreißen, was ›Gut Sternthaler‹ genau macht?«
»Wir sind ein Hundeschutzhof, es geht um Hunde aller
Rassen, nur um Hunde, um keine anderen Tiere. Also nicht dass ich was gegen
Katzen hätte, aber Lea Pia hat immer gesagt: Man muss den Kreis erkennen, in
dem man wirken kann.«
»Die Hunde kommen aus dem Ausland, hab ich Ihrer
Philosophie entnommen«, sagte Gerhard.
Die Antwort kam prompt und fiel im Ton heftiger aus,
als er erwartet hatte. »Ja, und jetzt kommen Sie mir nicht mit dem Argument,
wir hätten genug arme Tiere in Deutschland. Genug Viecher in Tierheimen, da
muss man die doch nicht auch noch aus dem Ausland herzerren. Das wollen Sie
doch sagen!«
Eigentlich wollte Gerhard gar
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