Hundsleben
Düsternis erfahren.
»Wir bewegen uns im Reich der Spekulation«, meinte
Gerhard schließlich.
»Ja, aber das alles ist so verdammt logisch. So
schlüssig. So klar«, sagte Reiber.
»Und klug und kaltblütig zugleich«, meinte Răzvan.
»Oder verzweifelt!«, sagte Gerhard. »Ich sehe die
Theorie mal als Wahrheit an. Ich konstruiere eine Geschichte, wie sie hätte
sein können. Frau Lepipfa! hat Finanznöte, sie rutscht immer tiefer in diese
rumänische Geschichte rein, das Geld reicht hinten und vorne nicht. Da kommt
der Geldsegen von Agnes Angerer, an dem sie aber auch keine rechte Freude hat,
weil ihre Putzfrau sie deswegen nervt. Sie weiß, dass diese ganze
Testamentsgeschichte nicht vom Tisch ist, dass sie womöglich vor einem Gericht
landen wird, sie kann mit diesem Geld nicht planen. Also liefert sie von der
rumänischen Ware immer nur einen Teil aus, den Rest behält sie und vertickt das
unter der Hand. Oder streckt das Zeug.«
Reiber fiel ein: »Die Rumänen durchsuchen ihr Haus und
finden nichts. Also erhängen sie die Hunde, schicken Bilder des Massakers nach
Berlin. Sie bricht zusammen, sagt, wo die Drogen sind. Sterben muss sie
dennoch, sie ist zu gefährlich als Zeugin, als Mitwisserin. Das waren Profis,
Profikiller, Profidiebe, Profikriminelle.«
»Und diese gestohlenen Bilder?«, fragte Gerhard. Er
hatte Răzvans düstere Worte über Fanatiker noch im Ohr. Auch Sandra Angerer
war eine Fanatikerin, gefangen auf ihrem Weg, den sie selbst mit hohen Mauern
eingezäunt hatte. Sie hatte sich verrannt in ihren Feldzug gegen Leanora Pia
Pfaffenbichler. Sie war für Gerhard immer noch eine sehr wahrscheinliche
Verdächtige.
»Und wie beweisen wir das? Und mehr noch: Wie helfen
wir dem Kollegen Răzvan, der ja wahrscheinlich dran interessiert ist, diesen
Gheorghe als Drahtzieher des Ganzen zu entlarven?« Gerhard war zwar immer noch
nicht überzeugt, aber für den Moment mal bereit, mitzudenken, mitzuarbeiten. Er
überlegte. »Wenn wir wüssten, wer die Drogen in Berlin hätte kaufen wollen. Das
könnte helfen.«
»Drogen in Berlin! Nicht mal die Drogenfahndung kommt
da noch hinterher, so schnell wechseln diese mafiösen Zirkel, die in großem
Stil Drogen verkaufen. Vergesst das!«, rief Reiber. »Schade nur, dass Frau
Pfaffenbichler uns nichts mehr erzählen kann, oder?«
Răzvan wiegte den Kopf hin und her. »Ich glaube, dass
Ionela Raţ ebenfalls Bescheid wusste. Ohne eine
Mitwisserin in Rumänien hätte Ihre Frau Pfaffenbichler das, glaub ich, nicht
durchziehen können. Und wenn unsere Theorie stimmt, dass die an den Drogen manipuliert
haben, dann muss Ionela Raţ dabei gewesen sein.«
»Das will meinen?«, fragte Reiber und lächelte.
»Wir fahren nach Braşov. Sie beide müssen die Dame
befragen. Das ist dann allerdings nicht so ganz legal. Ich bin offiziell raus
aus dem Fall, und Sie sind offiziell nicht befugt.«
»Aber weiß das Ionela Raţ?«, grinste Reiber und sah Gerhard
fragend an.
»Ja, von mir aus, ihr habt mich fast überzeugt.« Er
trank einen Schluck Bier. Auf was hatte er sich da eingelassen?
»Gut«, sagte Răzvan, »ich habe Ihnen beiden einen
Tisch in der ›Terasa Doamnei‹ bestellt, Sie machen auf ganz normale Touristen.
Gheorghe und Constantin haben da eine Art Stammtisch, wie Sie in Deutschland
sagen. Sie erkennen die beiden sicher. Lassen Sie das einfach mal auf sich
wirken. Mihnea wird Sie begleiten. Wir sehen uns dann morgen, ich stoße
unterwegs dazu.«
FÜNFZEHN
Diese »Terasa Doamnei« in der Strad Doamnei 9 mitten
im modernen Bukarest lag ganz unauffällig in einer kleinen Straße in einer Art
Scheune. Auf der Karte stand: »Urs carpatin cu ghebe« . Laut Mihneas
Übersetzung war das »Karpatenbär mit Pilzen und Muschi. Oder mögen Sie lieber
Hirn genießen?«. Gerhard bevorzugte den Karpatenbär, und während Mihnea
bestellte, sah er sich um. Das Ganze war wirklich eine Art Scheune mit langen
Tischen, fast ein Art Indoor-Biergarten. Vorne gab es eine Band, dazu sangen
resonanzkörperstarke Damen in gold-grünen Kleidern rumänische Volkslieder.
»Diese Gewänder stammen aus der Westwalachei«,
erklärte Mihnea.
Es war bizarr, aber die Rumänen schienen es zu lieben.
Das Publikum war mehr als gemischt: staunende Ausländer, meist Geschäftsleute
im typischen Business-Look. Einige rumänische Durchschnittspaare, relativ viele
Neureiche, zumindest ließ das der ganze Behang an teuren Halsketten, Armbändern
und Uhren vermuten.
Gheorghe Mutu hatte einen
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