Hundsleben
Zentrum von Bukarest erreicht, ein
merkwürdiges Monument vor den Monumentalbauten nannte Mihnea gerade eine »Olive
auf Zahnstocher, die ein seltsames modernistisches Erzeugnis ist«. Er führte
ihnen Prachtboulevards neben fast ländlichem Ambiente vor, orthodoxe Kirchen,
sozialistische Bombastbauten neben einer Karawanserei, »dem einzigen
Überbleibsel aus der unseligen türkischen Periode«. Sie passierten das
Parlamentspalais, »mit sechstausend Räumen und dreihundertdreißigtausend
Quadratmetern Fläche darf es sich nach dem Pentagon als zweitgrößtes Gebäude
dieser schönen weiten Welt in die Liste der Superlative einreihen«. Vor dem
Gebäude verkaufte eine alte Frau selbst gestrickte Socken. Nebenan spiegelte
sich die Silhouette eines Leierkastenmanns in der Glasfassade eines
Nobelhotels, eine Glasfassade, wie sie Hotels von Lima bis Peking anscheinend
haben mussten, wenn sie internationale Konzernnamen trugen. Gerhard war auf
eigentümliche Weise berührt. So war dieses Rumänien: anrührend altmodisch und
seltsam modernistisch zugleich. Ein Land voller Zwischentöne, irgendwo zwischen
Ost und West. Gerhard realisierte, dass er wieder mehr reisen musste, dass er
sein Weißbier verlassen musste, um einmal wieder weiter sehen zu können.
Auf dem Platz nebenan standen einige windschiefe
Marktstände. Rote Cowboyhüte wurden verkauft, Schaffelle und Keramik.
»Braungrün ist die ungarische Variante, Blau
sächsisch, und wenn’s geometrische Muster sind, dann stammen die Teller aus
Rumäniens Süden«, sagte Mihnea und: »Wir erreichen gleich unser Ziel.«
Das Ziel hieß »Caru’ cu bere«, die Straße hatte den
unaussprechlichen Namen »Stabropolcos«, und der Treffpunkt war eine
altehrwürdige Bierbrauerei im Gewand eines edlen österreichischen Kaffeehauses.
Ein Mann kam auf sie zu. Er war jung, sehr groß, hatte ein schmales
aristokratisches Gesicht, eine markante Nase. Seine linke Gesichtshälfte zierte
eine Narbe, sie verlief fast parallel zu seinen hohen Wangenknochen. Das gab
ihm etwas Verwegenes, gleichzeitig aber auch Verletzliches. Wenn er eine Frau
gewesen wäre, diesen Burschen hätte er sich näher angesehen, dachte Gerhard.
Aber Frauen wählten ja erfahrungsgemäß immer die Männer aus, die man als Mann
als ausgesprochen unpassend empfand. So wie Jo. Jo und Reiber – das bohrende
Gefühl in der Magengrube überfiel ihn wieder. Aber er konnte Reiber ja schlecht
fragen, ob da was lief, was da lief … Zudem hatte er momentan Wichtigeres zu
tun.
»Răzvan«, stellte sich der Rumäne nun mit Vornamen
vor und bat die Herren, sich zu setzen. Mihnea verabschiedete sich und sagte
noch: »Zögern Sie nicht, mich anzurufen, ich harre Ihrer weiteren Wünsche.«
Răzvan nickte ihm zu und wandte sich an Gerhard und Reiber.
»Willkommen, es freut mich sehr, dass Sie sich die Zeit nehmen konnten. Herr
Weinzirl, ich nehme an, dass Herr Reiber Sie ins Bild gesetzt hat?«
Auch sein Deutsch war perfekt, Himmel, was war er
dagegen für eine Sprachlusche. Gerade mal auf Englisch konnte er sich
einigermaßen verständlich machen, und seine Wortwahl und Grammatik waren sicher
keine Offenbarung. »Ja, wobei ich gestehen muss, dass mich das alles nicht so
ganz überzeugt. Ich habe eine Verdächtige, verzeihen Sie mir, wenn ich das so
sage: Aber solche internationalen Verwicklungen sind eher Kinostoff und
Fernsehfutter. Meiner Erfahrung nach passieren Morde zu neunundneunzig Prozent
im Familienkreis und im engsten Umfeld.«
Răzvan lächelte, was sein strenges Gesicht aufhellte
und belebte. »Verstehe, aber da bleibt ein Prozent.« Er zwinkerte Reiber zu.
»Okay.« Gerhard atmete tief durch. »Sie wollen also
sagen, dass Tierschützer schmuggeln?«
»Ja, dafür haben wir sogar Beweise.« Er legte eine
Akte auf den Tisch und klappte eine Seite auf. Ein Foto zeigte fünf Menschen,
drei Frauen, zwei Männer. Eine der Frauen war eindeutig Leanora Pia
Pfaffenbichler.
Reiber sah Răzvan fragend an.
»Die eine Dame kennen Sie, die andere ist Holländerin,
Rina van Menne, Tieraktivistin. Die Dame mit dem Pagenschnitt ist Rumänin,
Ionela Raţ. Sie leitet eine Tierschutzorganisation vor Ort, sie kooperiert mit
ausländischen Organisationen. Es gibt ein großes neues Tierschutzzentrum in
Braşov, Sie kennen die Stadt vielleicht unter dem Namen Kronstadt. Das Zentrum
wird vor allem von ausländischen Sponsoren getragen, hier haben die meisten
Menschen keinen finanziellen Spielraum für Tierschutz. Auch nicht
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