Hundsleben
es
plötzlich aus ihm heraus. »Sie verstehen das nicht! Alles drehte sich nur noch
um das Kind. Ich meine, natürlich müssen wir uns um das Kind kümmern. Auf immer
und ewig, es ist schließlich mein Kind, auch wenn es ein bisschen anders ist.
Aber meine Frau hat sich völlig von mir zurückgezogen. Ich meine, körperlich,
also ich meine …« Er brach ab. »Sie verstehen das nicht!«
Doch, er verstand, Gerhard verstand. Schweigend sah er
Angerer an, der fortfuhr. »Und dann hat sie sich so völlig in dieses Testament
verbissen. Ich habe mich auch geärgert, ich wollte einen gerichtlichen Weg
einschlagen. Aber Sandra hat sich völlig in die Idee verrannt. Sie war wie
besessen. Ich musste raus, nicht auf immer. Nur mal ein bisschen raus.«
»Und das wäre nicht ohne eine andere Frau gegangen?«
Reiber klang freundlich, er klang neutral.
»Das ist so gekommen, irgendwie. Angelika kenn ich
schon seit der Schulzeit. Sie ist eine Freundin. War sie immer. Ich weiß gar
nicht, wie das kam. Sie verstehen das nicht!«
Doch, sie verstanden. Beide verstanden sie den Mann.
»Herr Angerer, das heißt, Sie wussten nicht, dass Ihre
Frau während Ihrer Abwesenheit nach Berlin fahren wollte?«, fragte Reiber.
»Nein, das hätte ich auch nicht zugelassen. Was für
eine schwachsinnige Idee! Sie hat darauf gewartet, dass ich wegfahr. Sie hat
mir zu der Fahrt geraten, als ich angedeutet hatte, dass ich so kurz vor
Weihnachten noch wegmüsse.«
»Sie wird Ihnen aber kaum dazu geraten haben, dass Sie
sich mit einer andern Frau vergnügen!« Evi hatte bisher zugehört und konnte
sich augenscheinlich nicht mehr beherrschen. Evi verstand das nicht. Wie auch?
Sie ließen die beiden gehen, was sonst hätten sie tun
können? Sie gingen in Zweierreihen: vorne Sandra Angerer mit ihrer Anwältin,
dahinter er und der Jungspund. Ein gebührender Abstand lag zwischen ihnen.
»Wie sollen die denn nun weiterleben können?«, fragte
Evi gequält.
Wie alle, dachte Gerhard. Wie alle, die schmerzhaft
lernen mussten, dass das Leben weder ein Wunschkonzert noch ein Ponyhof war.
Aber das wollte er Evi nun nicht sagen, sie hätte angenommen, er veralbere sie.
»Ist das nicht Irrsinn? Zwei Menschen, die sich nahe
sind, die ein böses Schicksal verknüpft, wissen beide nicht, was der andere
tut?« Evi sah Reiber an, als könne er ihr das erklären.
»Sie haben sich irgendwo auf dem steinigen Weg
verloren. Ihre Herzen verschlossen. Sie haben beide funktioniert, getan, was
getan werden musste. Aber nicht mehr geredet. Wahrscheinlich haben sie übers
Heizöl geredet und wer einkauft, auch über das Testament, aber nicht darüber,
was sie wirklich verletzt hat. Und auch nicht darüber, was sie wirklich
brauchen«, sagte Reiber.
»Aber warum muss er denn dann zu einer anderen Frau
rennen? Sie hat sich doch auch keinen Tröster gesucht!«
Ja warum? Weil Männer so waren? Weil Sex beim
Vergessen half? Weil Sex imstande war, das Selbstwertgefühl aus dem
Kohlenkeller wieder ans Tageslicht zu befördern? Gerhard verstand Angerer, und
er wusste, dass Evi so eine Frage stellen musste.
»Weil wir Männer schwach sind. Viel schwächer als
ihr«, sagte Reiber.
»Aber was machen die beiden denn jetzt?«, fragte Evi
und klang immer noch verzweifelt.
Seine Evi – eigentlich war sie zu mitfühlend für den
Job. Oder aber genau das war ihr Vorteil. Gerhard drückte ihre Hand. »Sie
werden einander verzeihen. Ich hoffe, es gelingt ihnen.«
Sie alle drei verbrachten die nächste halbe Stunde mit
Ablenkungsmanövern, Übersprungshandlungen. Kaffee kochen, Protokolle tippen,
Akten umschichten. Gegen elf saßen sie an einem Tisch. Mit Tee, Kaffee und
Brezen.
»Fangen wir jetzt wieder von vorne an?«, fragte Evi.
»Nein, aber jetzt kommt es auf Răzvan an«, sagte
Reiber. »Ich denke, die Angerers waren es nicht. Ich habe mir das Phantombild
des Weihnachtsmanns faxen lassen.« Er lachte kurz auf. »Aber selbst wenn das
Bild unbrauchbar ist, Angerer passt niemals auf die Beschreibung. Er ist viel
größer und hat blaue Augen.«
Die »Vogelwiese« erklang. Für einen Moment dachte
Gerhard, es könne der Rumäne sein, aber der rief ja meist auf Reibers Handy an.
Es war Moritz, der Tierpfleger. Gerhard stellte laut.
»Moritz! Hallo, was für eine Überraschung! Falls Sie
allerdings wissen wollen, ob wir was haben: Ich darf Ihnen da keine Auskünfte
geben.«
»Nein, schon okay. Ich rufe wegen der Hunde an«, sagte
Moritz.
»Wegen der Hunde?«
»Sehen Sie, Herr
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