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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Ende von weg …» Und er zählte es an den Fingern her, Bügeleisen, Schultasche, Anorak, Moped …

    Seine Frau sei der Ansicht, sagte Sowtschick, daß es richtiger sei, der Verelendung der Outcasts vor der Tür zu wehren als das Geld nach Mittelamerika zu schicken, weil sich das dort natürlich irgendwelche korrupten Leute in die Tasche stecken. «Das weiß man ja, wie das denn läuft», und er dachte an einen wahnsinnig heißen Nachmittag in Rio, an dem ihn ein Konsulatsbeamter durch das Millionärsviertel gefahren hatte und gleich darauf zu den menschlichen Schutthalden auf der anderen Seite der Stadt. Da war Hopfen und Malz verloren.

    «Mit wem hat das Mädchen herumgetobt?» fragte Wagner.

    Daß er selbst sich mit Erika abgegeben habe, sagte Sowtschick frei heraus, hin und wieder habe er das getan, also mit ihr gesprochen, ihr was vorgelesen und auch mal rumgerangelt. Erika sei hier ja aus und ein gegangen wie ein eigenes Kind, ein halber Junge übrigens.

    Das alles schrieb Wagner sich auf.

    Im Innenhof hatten sich inzwischen Adelheid und das singende, springende Löwenheckerchen um den drahtigen Regisseur geschart, der sie mit lustigen Geschichten zum Lachen brachte. Er war früher mal beim Zirkus gewesen: Jetzt eben nahm er seine getönte Brille ab und machte Handstand, wobei er sich selbst Beifall mit den Beinen zuklatschte, schließlich stand er sogar auf einer Hand. Diese Darbietung fesselte auch die beiden Männer, die das durchs Fenster hindurch beobachteten und weiß Gott was anderes zu tun hatten.

    «Was sind das für Mädchen, Herr Sowtschick?»

    Während Ewald Hoenisch draußen dazu überging, den Mädchen, die ebenfalls Handstand zu machen versuchten, die Beine zu halten, kehrten die beiden drinnen zu ihrem Amtsgeschäft zurück.

    Die Mädchen wären eher zufällig hier, sagte Sowtschick, für den Haushalt engagiert. Er habe zuerst einen Inder dagehabt, «aber nee, wissen Sie… Diese Art Leute sind einem doch sehr fremd …»

    Während sich Sowtschick über die Karmalehre ausließ, von der Reinigung durch Seelenwanderung, und daß die Inder irgendwie tatsächlich rein körperlich ein anderer Schnack sind als durchschnittliche Mitteleuropäer … Er habe in Indien Mädchen gesehen, also: atemberaubend! Während er das alles sagte, kramte Wagner in seiner Aktentasche. Er kriegte Fotos von der Leiche heraus, auf denen Erika ganz ähnlich aussah wie Sowtschick zuvor im Innenhof, und legte sie auf den Tisch. Sowtschick nahm sie in die Hand, drehte sie links-und rechtsrum, und während er das tat, erfuhr er, daß das Kind in einem Entwässerungsgraben ertrunken sei. Vielleicht hineingestoßen, vielleicht hineingeraten, habe dann um sich geschlagen, an der glatten Ausschachtungswand Halt gesucht, sei abgeglitten … Unter den Fingernägeln Torfsubstanzen … Eine Astgabel habe in der Nähe gelegen, mit der sei das Kind möglicherweise niedergehalten worden. Ein Akt von unfaßbarer Roheit.

    Sowtschick sah die Fotos an: Die Augen hatte die Tote offen, sie waren deutlich «gebrochen»: So etwas Ähnliches gab es auch im Mord-Atlas zu sehen.

    Im Innenhof wurden die Mädchen inzwischen hochgestemmt – «Hepp!» – : Hoenisch demonstrierte, daß er immer noch voll auf dem Dampfer war, er erlaubte den beiden blonden Schwestern, die ihn vermutlich für einen Ätztypen hielten, sich ihm auf je eine Schulter zu setzen, und er erhob sich mit ihnen, stand auf einem Bein, das andere «flieger»artig nach hinten gestreckt, und dann drehte er sich sogar im Kreis! Dies lockte auch die beiden Pferdemädchen herbei. Braungebrannt, in Lederhose mit «Sugar» auf dem T-Shirt. Ewald Hoenisch drehte sich und drehte sich und kam dabei den Kakteen sehr nahe, und nein, das wird hier doch zu eng.

    Alle stürmten nach draußen auf die Wiese, um dort womöglich noch heftigere Hebeübungen zu veranstalten.

    Anita Läuffer beteiligte sich nicht an diesem Sport, sie schenkte sich Kaffee ein und betrachtete nägelkauend die Dose mit der Orangenmarmelade: «Made in South Africa» und schüttelte den Kopf: Also doch. Das hatte sie sich doch gleich gedacht, daß sie sich hier bei einem erzkonservativen Schwein befindet.

    Was hab’ ich dir getan,
oh mein Volk,
und womit hab’ ich dich
beleidigt?

    Dem Polizisten blieb der Mund offenstehen: «Sind das nicht die Töchter von Rademacher? Was tun die denn hier?»

    Das war wieder mal ’n Ding. Zwei plus zwei sind vier. «Dann haben Sie hier also lauter Mädchen um sich rum?

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