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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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«unter der Hitze geächzt», wie es im Wetterbericht geheißen hatte. Nun war es dunkel, ein lauer Nachtwind umspülte das Haus, und die großen Bäume schüttelten ihre Kronen.

    Was für ein verrückter Tag! dachte Sowtschick, als er im Bett lag. Er schob die Schlummerrolle in den Nacken, nahm das Tagebuch vor und schrieb es ein: «Was für ein verrückter Tag!»

    Nachdem er Empörtes eingetragen hatte in sein Tagebuch über Wagner, den Polizisten, Trauriges über das Verhalten der Mädchen und Befriedigendes über Hoenisch: «Weitergekommen», blätterte er noch ein wenig in dem vier Monate alten Heft. Wer das wohl später mal lesen würde: «Handwerker dagewesen, mit Hessenberg telefoniert.» Für Germanisten eine Fundgrube? Was würde die Wissenschaft daraus entnehmen, daß er schon wieder einen ganzen Sack Hundefutter gekauft hat, und wer würde sich interessieren für die daraus gewonnenen Entdeckungen und Erkenntnisse der Wissenschaftler? Farbiger würde er schreiben müssen, das nahm er sich vor: auf Tagesereignisse bezogen. «Unglaubliche Sauerei!», so in diesem Stil, daß die Aidskranken registriert und unter Quarantäne gestellt werden sollen: «Typisch BRD», und vielleicht Fotos einkleben von verhungernden Äthiopiern. «Der Dichter hat seine Epoche mit Engagement begleitet…» Dieser Satz mußte in seiner Biographie auftauchen, unbedingt. Und außerdem: Scharfe Seitenhiebe gegen Kollegen anbringen, dem Literaturbetrieb Futter hinwerfen: Holderbusch, dieser Idiot, und daß Lucinde Pechel zum «Globus» gegangen ist, obwohl sie in ihrer wilden Zeit Weihnachtsgedichte verhunzt hat.

    Vom Bankhaus hoch, da komm’ ich her,
ich bring’ euch neue Aktien schwer …

    Merkwürdig, diese Leute konnten sich alles erlauben, ohne daß man ihnen das moralisch vorgerechnet hätte. Doch mit ihm, dem an sich doch liberalen und im ganzen harmlosen Menschen, wollten gewisse Leute nicht an einem Tisch sitzen, wie ihm hinterbracht worden war: «Von dem nehmen wir kein Stück Brot.» Hatte er nicht in umfangreichen Romanen Vergangenheit aufgearbeitet? Hatte er nicht Mißstände aufgedeckt, Biedermännern die Larve vom Gesicht gerissen? Und trotzdem war er abgestempelt als Eckensteher, als Bewohner eines Elfenbeinturms. Das waren Mechanismen, die er nie begreifen würde.

    Achilles? Der Haken war, daß Sowtschick ihn an sich ganz gerne mochte. Er schätzte dessen analytische Kraft, und herrlich war es, wenn er Kollegen verriß. Das tat er nämlich auf eine Weise, die ihm so leicht keiner nachmachte. Tief im Inneren regte sich Sympathie mit diesem Mann, er hätte ihn ermorden können, aber im Dahinsinken hätte er ihn geküßt.

    Daß das sehr gut sei, daß er vier Mädchen im Haus «herumzulaufen habe», hatte Wagner gesagt. Gut? Wieso sehr gut? Inwiefern war das im kriminaltechnischen Zusammenhang positiv zu werten? «Ich vergewaltige sie der Reihe nach, jeden Tag», hätte er sagen sollen. Oder: «Verlassen Sie sofort mein Haus! Auf der Stelle!» So in dieser Art hätte er reagieren müssen, wie Holderbusch das getan hätte, ein Autor, der Interviews ablehnte, und wenn er mal eins gab, sich als «Zuhälter» bezeichnete, ohne daß ihm das schadete. Wer oder was hatte ihn geritten, sich von Kommissar Wagner darüber hinaus noch fotografieren zu lassen, die Strieme am Hals, das war ja nun wirklich das Letzte… In Sowtschick keimte der Verdacht, daß sich hier wieder einmal das Kapitulantenhafte in ihm gerührt hatte, das, was Marianne «das Ostische» nannte, und er nahm sich vor, ab morgen ganz anderen ostischen Eigenschaften freie Bahn zu geben: Jähzorn und Brutalität. Die Antwort der Mädchen: «… Hatten wir auch gar nicht vorgehabt zu kochen …» Das hätte er sofort mit Rausschmiß ahnden sollen: «Augenblicklich raus!»

    Mit Brutalität würde er dienen können.

    Nachdem er sich dergestalt in Wut geredet hatte, nahm er das «Unternehmen Cerberus» zur Hand. Von den ineffektiven Gegenmaßnahmen der Briten gegen die auf den Pas de Calais zustampfende deutsche Schlachtflotte las er, verirrte Flugzeugpatrouillen, defekte Radaranlagen, Kompetenzstreitigkeiten und Ignoranzen, umständliche Vorkehrungen gegen das von einem einzigen zielbewußten Wollen beseelte Wahnsinnsunternehmen: Das alles war im Prinzip recht angenehm zu lesen, und Sowtschick nahm sich vor, für den Fall, daß er mal wieder beim Verleger etwas durchzusetzen hätte, dem eigenen Wollen ähnlich zielbewußt Geltung zu verschaffen, wie Admiral

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