Hundstage
Handlung, von gelegentlichen Bravorufen des drahtigen Regisseurs unterbrochen – «Wir kriegen da Stil rein!» –, der aus Mangel an Beschäftigung Kniebeugen und Liegestütze machte. Er warf Ingredienzen in die Debatte, mit denen Sowtschick, wollte er das Wohlwollen des Fernsehmenschen sich nicht verscherzen, seinen Fall garnieren mußte: Eine türkische Aufwartefrau – «da nehmen wir natürlich ’ne echte!» –, einen querschnittsgelähmten Raketengegner, der in Verdacht gerät – «das kann Petrik Fenske mit seinen Pockennarben machen» –, und als Background Schiebereien der pechschwarzen Stadtverwaltung um irgendwelche Grundstücke eines Fabrikanten, der dauernd Giftfässer vergräbt.
Sowtschick war gerade dabei, die Tote zu beschreiben: Wie sie auf dem Sofa sitzt, alle viere von sich gestreckt, so halb runtergerutscht, die Zunge draußen – er hielt sich an ein Foto, das er in dem Mord-Atlas gesehen hatte –, und er demonstrierte das, um auch ja keinen Fehler bei der Beschreibung zu machen, als plötzlich Kommissar Wagner vor ihm stand und ihn da so hingestreckt sah, mit Zunge raus.
«Darf man stören?»
Sowtschick rappelte sich auf. Zuerst dachte er, der Mann wollte schon wieder was signiert haben für seine Gattin, aber dann kriegte er schnell mit, daß es sich um was Amtliches, also um etwas Unangenehmes handelte. Gleichzeitig war er erleichtert. Nicht irgendein fremder, undurchdringlicher Mensch brach in seine Sphäre ein, völlig in Unkenntnis über seine gesellschaftliche Bedeutung: PEN-Club, Hebbel-Preis, Brockes-Jury und diverse Verfilmungen – sondern Wagner, der Schwager des kollegialen Schulmeisters.
Der Kommissar hatte eine Aktentasche unter dem Arm.
Die Herrschaften wurden einander vorgestellt – «Ah! Vom Fernsehen!» – und begannen sofort über die Realitätsferne von Kriminalfilmen zu streiten, eine Debatte, die über Sowtschicks Kopf hinweg geführt wurde. Das dauerte eine Welle, bis endlich der Kommissar sich des Hausherrn erinnerte. Er entschuldigte sich bei Hoenisch, vielleicht sähen sie sich ja nachher noch? Und dann begehrte er Sowtschick allein zu sprechen. «Wo sind wir hier ungestört? »
Die Herren gingen hinein und setzten sich ins Mahagonizimmer. Die Anoraks der Mädchen mußten allerdings zuvor von den Dackelbeinstühlen geräumt werden und die Tennisschuhe vom Sofa sowie ein klebriger Joghurt-Becher der Firma «Irmi». Sowtschick nahm auch das Sexualheft vom Tisch, das er am Abend mit dem Manuskript des Azubis zusammen aus der Tasche gezogen hatte, eine in schwarzes, glänzendes Leder gekleidete, über und über gefesselte Dirne war auf dem Umschlag zu sehen, und das nahm sich in diesem Zimmer, in dem die zierlichsten Porzellanfigürchen standen, sehr sonderbar aus. Er sagte «Dreharbeiten» und steckte das Ding weg.
«Bim-bim/bim» machte die Bronzeuhr unter dem Glassturz, und Wagner legte seine große Tasche auf den spiegelblank polierten, ausgebuchteten Mahagonitisch, sagte: «Ja», und: «Viel heiß, heute», und wischte sich die vom Mützetragen eingekerbte Stirn.
Um Erika ging’s. Wann er Erika Witschorek zum letzten Mal gesehen habe?
Sowtschick sagte, daß er dem Mädchen zuletzt vor zwei Tagen begegnet sei, und zwar in der Nacht während des Feuers, hier im Dorf. «Das Fron-Hus, Sie erinnern sich.» Und er fügte hinzu, daß er dort mit dem Pastor, dem Bankleiter und dem Schulmeister zusammengestanden habe, an der Ecke, da, wo der Obstgarten in spitzem Winkel an die Straße stößt, und daß das Mädchen im Apfelbaum gesessen und den Schulmeister ausgeätscht habe. Und während er das sagte, fiel ihm die Symbolik des Vorfalls auf.
«Und vorher?»
«Am selben Tag, nachmittags, hier im Garten.»
«Hier im Garten?»
«Ja. Im Garten», sagte Sowtschick, und er dachte daran, daß das Mädchen ihn mit Kirschkernen bespuckt hatte, von oben aus dem Baum.
Der Beamte wollte wissen, was das Mädchen in Sowtschicks Garten zu suchen gehabt habe.
«Gespielt, rumgetobt …»
«Mit wem?»
Nun, da mußte Sowtschick etwas weiter ausholen. Er erzählte von den beschämend schlechten sozialen Verhältnissen, in denen das arme Kind lebte – « gelebt habe », wie der Beamte pedantisch ergänzte –, und von Marianne, die die ganze Familie unter ihre Fittiche genommen hat …
«Unter was?»
Die sich um die Familie kümmere, also aushelfe, wenn Not am Mann sei, mit Geld und diesem und jenem. «Was wir da schon reingebuttert haben, da ist das
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