Hundstage
Ciliax und die Seinen es getan hatten.
Er bemühte sich zu lesen, doch sein Auge glitt über das Buch ins Leere, ihm fielen noch einmal Wagners sonderbare Andeutungen ein, und obwohl er es doch wußte, daß er Erika nicht ermordet hatte, zählte er an den Fingern her, was alles gegen seine Täterschaft sprach, das todsichere Alibi und daß das Kind die Kette nicht in der Hand gehalten, sondern in der Hosentasche verwahrt hatte. Er sah die Tatortfotos vor sich, «smitt di eenfach hän», den kühlen Torfgraben, das braune Wasser. Armes Kind, dachte er, nie wieder Schubkarre fahren! Sich selbst sah er unter einer windzerfetzten Kiefer stehen, das Haar zerzaust, «Wuthering Heights», das Buch mußte er auch mal wieder lesen …
Wer mochte der Täter sein. Oder waren es mehrere gewesen? Dieselben Rohlinge, die Dr. Ohltrop die Kehle durchgesäbelt hatten? Oder die unsteten Bewohner der Senneschalk-Baracke? Oder vielleicht die Mofa-Jünglinge? Hatten das Mädchen aus Spaß auf dem Soziussitz mitgenommen, dann abgesetzt und über Stock und Stein gejagt, in den glipschigen Graben gestoßen und die Gurgelnde mit einem Ast niedergehalten, mit einer Astgabel genauer gesagt, so wie man es mit Schlangen macht?
Sowtschick stellte sich eine «Mißbrauchung» vor. Vielleicht hatten sie das Mädchen vorher zu dritt mißbraucht? Den Leibriemen geöffnet und das jugendliche, von Nahrungsüberschüssen geweckte und geschwollene Dings herausgeholt und in die Widerstrebende, wahrscheinlich «Eng»gebaute, hineingesteckt?
Sowtschick stieg aus dem Bett und holte das Pornoheft, das er in Hamburg gekauft hatte. Er blätterte in dem Heft, bis er auf die Zeichnung stieß, derentwegen er das Heft gekauft hatte, aber er fühlte sich nicht erwärmt; der Reiz hatte sich verflüchtigt. Alles vorbei, dachte er, und warf das Heft auf den Fußboden.
Er dachte auch an die Scherenschleiferin, und er bezeichnete sie als «Hindin», worunter er sich eine Art wildes jedoch zahmes Tier vorstellte, das in seinem Garten ein scheuaggressives Dasein führte, von ihm gejagt mit Netz und Dreizack. Schade, dachte er, daß diese Sache sich nicht entwickelt hatte, aber gut. Gut und schade zu gleicher Zeit.
Und wieder fiel ihm die Enttäuschung ein, die ihm sein Zweigespann bereitet hatte. Sie hätten auch gar nicht vorgehabt, zu kochen … So etwas zu sagen, ihm ins Gesicht! Das war ein Stilbruch gewesen. Eine solche Keßheit kam aus einem Triumphdenken jugendlicher Hirne über sein Altern.
Hoenisch mit seinen Hebeübungen: Sport war auch eine Möglichkeit, sich jungen Menschen zu nähern, für ihn kam das nicht in Frage. Er mußte es auf die sanfte Tour versuchen, «soft», wie sein Name es ihm vorgab, und das wurde eben leicht mißverstanden, falsch gedeutet. Sanftheit forderte kesse Reaktionen heraus, und die mußte man aushalten können.
Sowtschick legte sein Ohr an den Dachbalken, um zu hören, was sie da oben machte, Adelheid, die vielleicht doch Annehmbarere von beiden. Ob sie schon schlief? Mit bettheißem Gesicht und milchsattem Mund? Wahrscheinlich lag sie mit offenen Augen im Bett und dachte an Hebeübungen und an eine rauhrasierte Wange, die ihren Schenkel streift. Vielleicht hatte sie jetzt ebenfalls ganz wie er das Ohr an den Balken gelegt, um zu hören, was er da noch zu rascheln hat? Vielleicht war es ihr ja eingefallen, daß das nicht gegangen war, zu sagen, sie hätten auch gar nicht vorgehabt, zu kochen?
Er hatte Erika mal mit Pfennigen beworfen vom Fenster aus, und sie hatte so in die Gegend geguckt: Woher das kommt und wer da nach ihr wirft. Das nasse Hemd auf den kleinen Brüsten: Arme Erika, dachte er, und er bedauerte es, daß er dieses Kind nicht mehr durchs Haus würde jagen können, wenn’s ihm danach war, oder auf das Sofa werfen als «Iwan der Schreckliche».
Und die Beerdigung? Irgendwann würden die sterblichen Reste des Falles «freigegeben», das war zu erwarten. Wenn man das Körperchen vorn und hinten, oben und unten fotografiert und betastet und beknetet haben würde, auch wie ein Hühnchen aufgeschnitten mit Tranchierscheren und in seine Bestandteile zerlegt (das kleine Hirn in Formalin, mit all den schönen Bildern von Schubkarrefahren und Hetzjagd durchs Haus), daß man das Körperchen dann zur Bestattung freigeben würde, dem Wurmfraß also, Staub zu Staub, Asche zu Asche. Wehe, wenn bis dahin der Mörder nicht gefunden war! Obwohl er doch von Kopf bis Fuß unschuldig war, würde die Beerdigung mit
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