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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Und, wer konnte es denn wissen, vielleicht könnte er ja tatsächlich noch etwas zustande bringen in einer Nacht wie dieser. Wo war er stehengeblieben mit dem Kollegen Fingerling – Gott, wie weit war das schon wieder weg …

    lid zi geliden,
sose gelimida sin!

    Dahin sanken all die Hochglanzhefte mit den Über-und Unterliegereien, mit den Verknäuelungen und artistischen Verrenkungen, Begattungsakrobatik, die alternden Menschen keine Lehre mehr sein kann und zur Fortpflanzung nicht taugt. An jedes Heft knüpften sich Erwerbungsstorys, und in jedem waren Reizungen enthalten, die andere und wieder andere Ebenen der Empfänglichkeit in Sowtschick angesprochen hatten, solange sie neu gewesen waren.

    Aus dem Schornstein flogen die schwülen Erzeugnisse davon: Nie wieder! schwor sich Sowtschick, würde er so was kaufen. Dieses Gelübde legte er ab.

    Das allerletzte Heft steckte Sowtschick allerdings in die Tasche seines Schlafrocks, von dem mochte er sich denn nun doch nicht trennen. Statt dessen nahm er die Schulmeisterbroschüre «De Düwel in de Föör», riß sie in Fetzen und schob sie in die Flammen: Die würde ihn nie wieder ärgern.

    Zum Schluß zerstocherte und zerstampfte er mit dem vom Architekten gestifteten Kamingerät die verkohlten Papiere. Er stand einen Augenblick unschlüssig oder besser gesagt selbstverloren unter dem flandrischen Kronleuchter. Ihm fiel Erika ein, die in die große Messingkugel Fratzen geschnitten hatte. Erika.

    Sowtschick nahm die große Taschenlampe und ging, von den aufseufzenden Hunden gefolgt, in den Garten: die Höhle, wie sonderbar, daß er sich die noch niemals angesehen hatte.

    Die Höhle befand sich im hinteren Teil des Gartens unter einer Trauerweide, die als Begräbnisplatz für Wellensittiche, totgeflogene Vögel und für Hussa, den heißgeliebten Schnauzer, gedient hatte. Er sah die Kinder vor sich, Klößchen und Schitti, wie sie die Tiere, in einen Pappkarton gebettet, prozessionsartig zu Grabe trugen.

    Die Höhle war mit einem alten Läufer und mit Säcken verhangen. Sowtschick schlug sie zur Seite und leuchtete sie aus. Stroh lag auf dem Boden, ein Schemel, eine Kiste als Tisch. Sowtschick bückte sich und setzte sich auf den Schemel. Fast andächtig saß er da. Und nun entdeckte er ein Kistenbrett, an das Fotos von ihm geheftet waren, aus der Zeitung herausgerissen. Rührend! Traurig! Auf dem Tisch stand ein Karton mit geklauten Kleinigkeiten: der schlangenlederbezogene Taschenspiegel, das indische Kugelspiel vom Fernseher, zwei silberne Teelöffel und … der «donkey». Da hatte er die Senioren zu Unrecht verdächtigt, und dieses kleine Aas …

    Sowtschick wollte das alles schon an sich nehmen, da besann er sich und legte die Sachen wieder zurück. Dieser Ort war unantastbar. Ein Bann lag darauf, und außerdem hatte Wagner ja gesagt, er solle nichts anfassen. Vielleicht später einmal eine Art Mausoleum daraus machen, von Efeu überwachsen.

    Sowtschick knipste die Taschenlampe aus und «trat unter den unendlichen Himmel», wie er es bei sich formulierte. Man sah es ihm nicht an, daß sich dessen Ozonschicht von Tag zu Tag verdünnisierte, und daß er mit den Trümmern von tausend Fernsehsatelliten verunreinigt war.

    Die Fernsehbilder von den Monden des Uranus, von den Ringen des Saturn, das waren Sensationen gewesen, und als Armstrong aus der Mondkapsel stieg: «Dies ist ein großer Schritt für die Menschheit …» Da hatte es in ihm heroisch aufgeruckt, aber über Sterne Gedichte zu schreiben, das konnte nur Schwachsinnigen einfallen, erdfarbene Ewigkeit, samendes All. Was da oben unter den blasierten Sternen geschah, konnte niemand ins Wort erlösen, das lachte stählern über Wie-Vergleiche.

    Sowtschick ging in das Haus, entzündete Kerzen in einem silbernen Kandelaber – eine fehlte, Gabriele hatte sie zu sich nach oben genommen – und spielte ein Nocturne von Chopin, eines von der langsamsten Sorte.

    Stiller Freund der vielen Fernen, fühle
wie dein Atem noch den Raum vermehrt …

    Rubinstein stand hinter ihm und legte ihm die gichtverknotete Hand auf die Schulter, er mochte an ein Austernfrühstück denken, und der Vater ließ die «Ilias» sinken und nahm den Zwicker ab und nickte ihm ernst und nachdenklich zu: Was in ewigen Büchern geschrieben stand, das wehte ihm aus dieser Musik zu, und zwar in komprimierter Form.

    Als Sowtschick in äußerstem Piano endete, «Chopin» ist gar kein Ausdruck, wurde vom Bibliotheksgang aus Beifall

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