Hundstage
Dorfbevölkerung, Eltern, tuschelnden Pferdemädchen und mit Pastor Sehgras für ihn eine schreckliche Belastungsprobe werden. Sowtschick standen die Haare zu Berge. Er stellte sich vor, daß das Dorf, wenn er die drei Händevoll Erde polternd auf den Sarg werfen würde, mit Äxten und Knüppeln gelaufen käme und wie ein Mann: «Mörder!» rufen und daß man ihn prügeln und in die Grube stoßen würde. Lynchjustiz in Sassenholz stellte er sich vor, mit Leuten, die Güllewagen vor seiner Tür ausleeren oder Schrot gegen die Fensterscheiben schießen.
Vielleicht war es doch gut gewesen, daß er den Polizeibeamten Wagner nicht hinausgeworfen hatte – «Was bilden Sie sich eigentlich ein?» –, sondern im Gegenteil ihn zum baldigen Gartentreffen eingeladen, mit Gattin und dem Schulmeister. Das hatte er doch getan? Oder nicht?
Flucht? In den Wald fliehen, im Flakbunker unterkriechen, und: Horch! Ein Pfiff! Die Mädchen bringen Brot und Suppe. Sich verbergen, bis eines Tages die Schuldlosigkeit feststeht. Und dann kommen sie mit Tuten und Stöcken und suchen ihn, und er zieht sich immer weiter in seine Höhle zurück.
Oder zu Marianne fahren, ins ferne Frankreich, den Kopf an den ihren lehnen, liebster Mann. Das hatte sie noch immer getan, ihm kompromißlos zur Seite gestanden bei Angriffen des Tages. Sie war oft kompromißloser gewesen als er selbst. Alles aufgeben und in Frankreich angesichts des Meeres die letzten schönen Jahre dahingleiten lassen …
Sowtschick zog die Nachtschrankschublade seiner Frau auf. Da roch es medizinisch, Brandgel und Aspirin, Valium, gebrauchtes Ohropax und eine Dose Nivea-Creme.
An dieser Schublade hatten die Kinder gestanden, Michael mit blutendem Finger … Susi hatte er mal eine Spelze aus dem Hals entfernt mit einer Pinzette.
Er sah seine Frau im Bett liegen, den Zopf neben sich auf dem Kissen deponiert. Die Sache mit der ehelichen Gemeinschaft ging ihm durch den Kopf. Er freute sich, es rechtzeitig vermieden zu haben, daß das Mechanische des Aktes ins Mechanistische überging, daß sich Zuneigung in Abscheu umpolte. Nun war es trotz getrennter Betten immer noch möglich, sich von Zeit zu Zeit in die Arme zu schließen oder die Köpfe aneinanderzulehnen, und zwar aus freien Stücken, und ohne daß daraus ein wollüstiges Gerangel wurde, mit all den automatischen Konsequenzen.
Sowtschick öffnete die Wäscheschränke. Die Handtücher sauber zusammengefaltet, eins auf dem andern, Seife dazwischen, die Waschlappen, die Laken – dünn geworden in vierzig Jahren Ehe. Er dachte an Mariannes feine Hände, mit denen sie die Stapel von Zeit zu Zeit durchmusterte, und ihn kam Rührung an vor dieser Ordnung. Er beschloß, wenn sie wieder da wäre, sie an sich zu ziehen und ihr freundliche Worte zu geben.
Auf dem Fußboden lag das Pornoheft. Da gehörte es auch hin. Sowtschick suchte unter den Büchern, mit denen er Mariannes Bett belegt hatte, andere Animations-Schriften heraus und beschloß, sie zu vernichten. Ein Akt der Reinigung war fällig. Er blätterte das Zeug nicht noch einmal durch, die Gefahr wäre zu groß gewesen, daß er sich besonnen hätte, sondern steckte es in ein Kuvert. Wohin damit? Der Kamin in der Halle fiel ihm ein. Er zog seinen Schlafrock an und ging nach unten in die von Mondlicht erleuchtete Halle. Neben dem Kamin stand sonderbarerweise ein Fahrrad. Adelheid hatte begonnen, es zu flicken, und hatte es dann sein lassen.
Sowtschick tätschelte die Hunde, die von den Sesseln sprangen: Was nun schon wieder los ist?, trug Holz heran und setzte sich mit einer Flasche Bier vor das prasselnde Feuer. Und als es so recht munter in Gang war, öffnete er den Umschlag und übergab ein Heft nach dem andern gewissermaßen feierlich den Flammen.
Ben zi bena,
bluot zi bluoda …
Ungeschehen machen, diese Verirrungen, und wenn Marianne wiederkam, den Kopf an ihren lehnen …
«War das nötig?» hatte die Mutter gesagt, als der Vater nach Hause kam, und der hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und den Kopf in die Hände vergraben.
Vielleicht stand draußen vor dem Tor jetzt ein Polizist, der aufpaßte, was er hier macht? Zu so später Stunde? – Nachts aus dem Bett zu steigen und den Kamin anmachen, das konnte ihm niemand verbieten. Die Mädchen da oben, in Tiefschlaf versunken, würden, falls sie erwachten und ihn rumoren hörten, an künstlerische Unrast denken. Sie würden erzählen: «Mitten in der Nacht pflegte er aufzustehen und zu schreiben …»
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