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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dort an der Küste ja keine Dichterin ist. Und während er schon wieder an den Fernsehapparat dachte, ob er nicht vielleicht lieber doch noch ein wenig «Sport extra» sehen sollte, Hürdenlauf oder Speerwurf oder Startvorbereitungen zum Hundert-Meter-Lauf? Wenn sich die muskulösen Damen an den Startblock hocken, ob’s so richtig ist oder so … suchte er nach einem Reim auf «spießen». Fließen, sprießen?

    … die Kälte läßt die Tropfen hallen,
in Nächten, die sich nie erschließen …

    Das mochte fürs erste hingehn. Es kam ihm die Gewißheit, daß die Einführung des Gedichtes «Frost» in der Novelle «Flut» das Zentrum der Fingerlingschen Dichtung und damit auch der seinen sei. Deshalb würde dieses Gedicht nur fürs erste so stehenbleiben können. Später mußte er etwas machen, das mit der gesamten zeitgenössischen Lyrik Schritt halten könnte, ja diese in den Schatten stellte.

    Sowtschick tastete sich zu seinem Kollegen in die Winterstadt zurück und sah ihn im Hotel sitzen, eingeschneit, und das Annemarie-Gedicht ersinnen, das er soeben für ihn gemacht hatte, und die Polizei beschließt in demselben Augenblick, ihm einen Besuch abzustatten, wegen des Mordes an der Antiquitätenhändlerin, ihn in die Zange zu nehmen also, ihn, der eben erst unendlich Zartes von sich gegeben hat.

    Sowtschick ging in die Küche und steckte seine Finger in ein Gurkenglas. Wie ordentlich sah es jetzt hier aus. Alles blank: Die Nichten hatten sich gut eingeführt, sie hatten abgewaschen und aufgeräumt, wie sie es zu Hause gewiß nie taten. Nun polterten sie die Treppe herunter, wo man sich hier duschen kann, wollten sie wissen.

    Da kamen auch die Schwestern ernsteren Schritts. Was? So toll aufgeräumt? Also, da war man ja sprachlos! Diese Aktivität stimmte sie milde. Ehrlich gesagt, das hätten sie nicht gedacht. Und dann standen sie schon beieinander und sprachen von Klassenfahrten nach Berlin, sie hätten sich echt tierisch abgerollt bei dieser total schwachsinnigen Museums-Sache, voll unmöglich sei das gewesen. Und dann wurden schon Hosen ausprobiert, echt steil: «… leihst du mir deine mal?»

    Sowtschick setzte sich an den Küchentisch und versammelte die Mädchen um sich und sprach von «verschworener Gemeinschaft» und von «Zusammenhalten», und dann las er ihnen das Gedicht vor: «Frost». Die Blicke, die er dafür empfing, waren anerkennend.

    Die Nichten hatten inzwischen kapiert, daß ihr Onkel ein berühmter Mann war, sie guckten ihn durchdringend an. «Rebecca» tat’s mehr von ferne. Ihr semitischer Silberblick, der wie aus dem Dunkel eines orientalischen Bazars zu ihm drang, zog Kraft von ihm ab, saugte ihn an, wohingegen die rundlich-gutmütige «Pippi» mit den pickligen Pausbacken seine Nähe suchte und ihn mit ihrer warmen Ausstrahlung weiblich umgab. Berühmt plus Mord? Also, das war mehr, als man erwarten konnte.

Die Winternebel knistern aus Kristallen …

    Gabriele war freudig erregt von dem Gedicht, das sie da eben gehört hatte. Ob sie mal schnell nach oben laufen soll? Sie habe ein ganz ähnliches Gedicht gemacht vor einigen Tagen, ja? Solle sie mal eben schnell nach oben laufen? Dies konnte abgewehrt werden. Sie könne es ihm ja auf den Schreibtisch legen, sagte der Schriftsteller, da liest er es dann, wenn er Zeit hat. So was kann man nicht zwischen Tür und Angel machen.

    Adelheid stand ruhig und gefaßt hinter dem Dichter. Sie hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt. Kameradschaft und Liebe sind so weit entfernt nicht voneinander …

    Als Sowtschick im Bett lag, war er tiefinnerlich nachdenklich. So einen Sommer hatte er noch nicht erlebt. Vier Mädchen im Haus und das herrlichste Wetter! Grotesk! Und er schrieb die Wunderbarkeiten dieser Tage haarklein in sein Tagebuch. Er schrieb auch das Schlimme ein, das sich ereignet hatte, mit fragendem Unterton; zuerst die «Fron-Hus»-Sache und dann den Tod von Erika. Er wäre direkt neugierig, schrieb er, was als drittes Unheil passiere. Er fühle es bereits nahen! Eine solche Prophezeiung war risikolos dem Tagebuch anzuvertrauen: Für den Fall, daß in den nächsten Tagen tatsächlich noch etwas passierte, könnten die Forscher, die sich irgendwann einmal mit den Tagebüchern beschäftigten, denken, daß ihm die Gabe der Prophetie gegeben sei, falls nicht, dann würde man die Prophezeiung rasch vergessen.

    Aber irgend etwas würde sich schon noch ereignen, damit konnte man rechnen.

    D er nächste Tag verlief verworren, aber der

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