Hundstage
siebzehn und achtzehn, Petra ein wenig Pippi Langstrumpf, pummelig, mit Pickeln im Gesicht, lila und gelb gestreifte Punkerhosen an, Laura, wohl nach dem Vater geraten, ein dunkles, semitisches Geschöpf mit stillem unverwandten Silberblick hinter einer schlechtsitzenden Nickelbrille.
Während das Löwenheckerchen irgendwo im Haus Türen schmiß, soweit kommt das noch, daß man diese Gören hier auch noch versorgen muß, nahm Sowtschick seine Nichten in Empfang, wie sein Großvater es am Familientag mit den Enkelkindern getan hatte, 1934.
«Soso, du bist also Petra, von dir hab ich schon viel gehört», was gar nicht stimmte, «und du bist Laura? Dich werden wir Rebecca nennen.» Sie sähe ja aus wie eine Militärpolizistin, die in der Negev-Wüste Lastwagen anhält …
Dann fragte er sie, wie’s den Eltern geht, Eckart und Luise, was die Schule macht und ob sie ihm mal den Unterschied zwischen Orangen und Apfelsinen erklären könnten? Sie als israelische Polizistin müsse das doch wissen! sagte er zu Laura, der es gefiel, Rebecca genannt zu werden.
Die Mädchen hatten schon einiges zu staunen gehabt, als sie von dem muckschen Löwenheckerchen durch das Haus geführt wurden, aber hier im Studio waren sie baff, so baff wie das englische Ehepaar es gewesen war, das sich jetzt glücklich pries, dem Waldhaus entronnen zu sein, und baff wie die Hundertschaften der Senioren, die nun wohl auch was zu erzählen wußten.
So viel Platz für einen einzigen Menschen? fragten die Mädchen, die auf entzückende Weise babbelten. Sie hatten auf der Radtour keine Zeitung gelesen, und so war die Mord-Sache, die er ihnen jetzt berichtete, ohne rechte Pointe. Die Postmassen, die noch immer auf dem Fußboden verstreut lagen, interessierten sie: Sie krochen auf allen vieren unter den Flügel und: Da lag er ja, der Brief, lila und mit grüner Tinte, mit dem sie sich angekündigt hatten, vor vier Wochen, und noch nicht einmal geöffnet!
«Sucht euch einen Platz, wo ihr schlafen könnt», sagte Sowtschick und setzte sich an den Schreibtisch, und während die Nichten glöckchenklingelnd abzogen und sich Nester bauten in seinem Haus, in denen sie Toffees lutschen und Werner-Comics lesen konnten, arbeitete er ganz einfach an seinem Werk weiter. Wie er da unrasiert am Schreibtisch saß, mit brennenden Augen, das würde später in seiner Biographie stehen: «Selbst unter härtester Belastung produzierte er seine wunderbaren Geschichten …»
Sowtschick zog Nutzen aus der Erika-Affäre. Er konnte die Antiquitätenhändlerin nun ermorden lassen. Seine jüngsten Erfahrungen mit der Polizei gaben ihm sicheres Fachwissen. Fingerling gerät in Verdacht, ist es aber natürlich nicht gewesen, obwohl irgendwas bei ihm gefunden wird, eine goldene Medaille vielleicht oder eine wertvolle Zinnfigur. Obwohl er in einen ungerechtfertigten Verdacht gerät, trotz der enormen seelischen Belastung also – schließlich hat er die Tote ja geliebt –, gelingt es Fingerling, an seiner Novelle «Flut» zu arbeiten. Und Sowtschick, dem es ja genauso erging wie seinem Kollegen, setzte sich daran, die Novelle auszuarbeiten. Er sah die einsame Annemarie vor sich, wie sie auf dem Steg des ins Wasser hineingebauten Häuschens liegt, unter sich das Tosen der Wellen. Sie denkt an den Mann, den sie verlassen hat, einen Künstler, vielleicht Geiger oder besser noch Cellisten, der nichts verstand außer seiner Musik, der weltfremd tat, wenn er das Licht anknipsen sollte, und doch, alles in allem, recht gut Bescheid wußte, wie sich beim Scheidungsrichter später herausstellte. In der Einsamkeit, die sie wie ein tönender Hohlraum umgibt, tastet sie sich zurück in die frühen Jahre der Liebe, er hoch oben auf dem Podium, angestrahlt von Scheinwerfern, sie tief unten im schwarzen Zuschauerraum. Und als sie an die schönen Jahre denkt, weint sie. Die Tränen laufen ihr die Wangen herunter, und dasselbe tun sie auch bei Fingerling, als der das schreibt und bei Sowtschick, der schrieb, daß der das schreibt. Er sah diese Frau in der Sonne liegen, über dem glitzernden Meer, und schließlich sah er sie auch das Gedicht ausbrüten, «Frost», das er nun für Fingerling erfinden mußte.
Die Winternebel knistern aus Kristallen,
die sich an Draht und Ästen spießen,
die Kälte läßt die Tropfen hallen …
So fing das Gedicht an, das die einsame Frau sich ausdenkt, das Sowtschick also nun machte, und zwar «extra schlecht» oder «extrem ungekonnt», weil die Frau
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