Hundstage
Mofa-Fahrer johlten und erzählten dem Mann und seiner aus dem Autofenster herauslehnenden strähnigen Frau, was Sowtschick für ein Drecksack ist, ein Mörder durch und durch, und sie warfen mit Bierdosen nach den Gartenleuchten, um dem Ausländer zu zeigen, daß man das hier ohne weiteres darf. Als auch noch der Schulmeister herbeikam, mit seiner Gruppe, und alles bestätigte, machten sie, daß sie wegkamen.
«Diese Deutschen sind ja ganz verflixte Leute. Also stimmt das doch, was man sich von ihnen erzählt …»
Sowtschicks Freundlichkeiten in jener Nacht erschienen den beiden jetzt in einem anderen Licht.
A m Abend genehmigte sich Sowtschick eine Fernsehorgie. Er nahm in sich auf, was aus allen Richtungen des Äthers in seinem Apparat gebündelt wurde. Ein Vortrag über Aids zum Beispiel, daß das gar nicht so schlimm ist, man soll nur Vertrauen zueinander haben und immer schön lieb sein, dann geht das schon vorüber.
Waldbrände in Südfrankreich, Langschwanzaffen am Orinoco, Volkslieder vom Niederrhein.
Als segensreich erwies sich die Sendung «Sport extra», Leichtathletikwettbewerb in Stuttgart: die Damen, wie sie auf der Marathonstrecke dahintraben, sehr kleine Damen und sehr große mit rassigem Pferdeschwanz, siebzehn Jahre «jung», wie der Sprecher sagte, vom Hubschrauber aus gefilmt oder vom Auto. Winkende Passanten, und dann die nachdenklichen Mienen der Läuferinnen, wie’s mit den Kräften steht, ob sie wohl noch um diese Kurve da herumkommen? Herderstraße, Bebelstraße, Schloßstraße. Und immer schön vorsichtig, daß man nicht in die Straßenbahngleise tritt. Rätselhaft war es, daß es den Autos und Motorrädern der Veranstalter und Betreuer gestattet war, unmittelbar vor ihnen herzufahren. Die Auspuffgase mußten doch lästig sein? Lustig die Passanten, die ein Stück mitliefen. Und die Klos an der Straße: Wie sportlich man sich auch gab, hier mußte verschwunden werden.
Die Weltrekordhalterin Marlitt Becker sei gesperrt worden wegen Medikamentenmißbrauchs, teilte der Sprecher mit, weswegen nun wohl die sehr männlich wirkende Tamara Sichowa aus Kiew als erste durchs Ziel gehen würde.
Es wäre vielleicht doch ratsam, sich eine Parabolantenne aufs Dach montieren zu lassen, dachte Sowtschick. Die Programme dieser verschiedenen «Sat»- und «Plus»-Dinger wollten schließlich auch unter Kontrolle gehalten sein.
Die Mädchen kamen und stellten sich hinter seinen Fernsehstuhl. Sie hatten Post bekommen von ihren Eltern aus Badgastein, ob das wohl richtig ist, bei Sowtschick sich aufzuhalten, und er in seiner Angst, daß sie ihn womöglich allein ließen und nach Hamburg zurückfuhren, riß sich los von der Mattscheibe und gab sich unbekümmert, ja er erheiterte sie, indem er die Hitze dieses Tages als verblödend bezeichnete und Dirigenten nachahmte: Furtwängler mit diesem sonderbaren Kopfgeschüttle oder den Mann vom Don-Kosaken-Chor: «Zieht euch warm an!», der ja wohl kaum die Finger bewegte.
Als die Stimmung sich steigerte, fragte er sie nach den Judo-Griffen, die hätten sie gewiß längst vergessen? Und er genoß es, von den beiden wechselseitig auf den Teppich geworfen zu werden, was ihnen allerdings nur gelang, weil er sich kaum wehrte.
Als Sowtschick sich eben seinem Schreibtisch nähern und dem, wie es schien, gealterten Manuskript zuwenden wollte, klingelte das Telefon, deutlich hörbar unter den Kissen. Sowtschick nahm ganz automatisch ab: Eine Mädchenstimme meldete sich, Petra mit Namen, eine Nichte. Sie mache gerade eine Radtour mit ihrer Schwester Laura, ob sie mal reingucken könnten?
«Wo seid ihr denn?»
«Nun, hier im Dorf.»
«Das war aber sehr unvorsichtig von euch, hierherzukommen. Ihr wußtet doch gar nicht, ob ich da bin?»
«Wir haben doch geschrieben…»
Petra und Laura – Sowtschick erinnerte sich an sie. Das berühmte Foto am Waldrand, weiße Kleider, um das sich die Agenturen seinerzeit gerissen hatten und das neuerdings im Zusammenhang mit dem Mord an Erika wieder hervorgeholt wurde von der Presse. In Heidelberg waren sie zu Hause, der Stadt mit der unanständigen Postleitzahl.
Sowtschick beschrieb den beiden Mädchen genauestens den hinteren Eingang, wie sie sich dem Haus nähern könnten, ohne aufzufallen, und kurz darauf brachte Gabriele die beiden Geschöpfe vorwurfsvoll herein. Was das nun wieder soll? Zwei zusätzliche Fresser? Hatte man nicht schon genug zu tun?
Die beiden waren absolut nicht halbwüchsig, sondern
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