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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Sowtschick: Bettler in Indien, Straßenmusikanten in Rio, Fassadenplastiken, Abrißhäuser und eben auch Mädchen. Ob es verboten sei, Mädchen zu fotografieren? Er beabsichtige, einen Fotoband zu machen, später, wenn ihm mal nichts mehr einfalle. Eine Publikation, die hoffentlich gutgehe, damit er Steuern zahlen kann für den Staat und seine Polizeibeamten.

    «Soso», sagte Steguweit, vielleicht wäre er so freundlich und lasse sie mal Einblick nehmen in diese Sammlung, das könne ja vielleicht ganz interessant sein. Ob er auch von Erika Fotos gemacht habe? Wie das überhaupt gewesen sei, er, Sowtschick, habe gesagt, daß er sich mit Erika gebalgt habe. Wieso gebalgt ? Ob er das mal ganz genau beschreiben könne? Herumgewälzt? Ob es bei diesem «Balgen» zu Körperkontakten mit der Zwölfjährigen gekommen sei? Habe er den Körper der Halbwüchsigen in Brusthöhe umklammert oder weiter unten, womöglich in Gesäßnähe? Hätte noch gefehlt, daß er das demonstrieren mußte, an einer Schaufensterpuppe oder womöglich an der Polizistin.

    Mofa-Jünglinge wurden zitiert, die ausgesagt hatten, daß Sowtschick sich mehr und mehr in die Tiefe des Gartens zurückgezogen hätte, mit den Mädchen, und da irgendwelche Sachen gemacht, das Kreischen sei ja bis auf die Straße zu hören gewesen. Judoartiges Gebalge … (Die Arbeiter hatten das bestätigt.) Weit ist der Weg ins teure Heimatland: Nein, er hatte Erika nicht fotografiert, und das tat ihm leid. Das «Farmerbild» hätte gut in seine Sammlung gepaßt, ein Autowrack im Hintergrund oder ausgediente landwirtschaftliche Maschinen unter welkem Herbstlaub, ein Lokomobil, verrostet, urtümlich, wie es bei seinem Onkel in Haffenstein herumgestanden hatte. Indian Summer oder Herbst… Er kannte diese Art Fotos, in Fotobänden gab es sie, wie sie bei Kindermann & Jacobs auf dem Grabbeltisch lagen, mehrmals im Preis herabgesetzt. Gern blätterte er sie durch, und nie kaufte er einen. Auf immer hatten sich ihm diese Fotos eingeprägt, genauso wie die ins Wasser hechtende Freddy, und Elke, das Nachbarkind im Stroh. Die Scherenschleiferin nicht zu vergessen.

    «Sie haben sich in Hamburg Videobänder gekauft …», wurde er nun gefragt, und es wurde wiederum hervorgehoben, daß Sowtschick sich diese Art Streifen am hellichten Tag ansähe, während andere Leute arbeiteten.

    Nun, hier konnte Sowtschick die Gegenfrage stellen, ob es verboten sei, sich Videos zu kaufen? Im übrigen habe er in Hamburg keine Videos gekauft, er nehme gelegentlich den einen oder anderen Film des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf Band, Hitchcock oder die Franzosen. Er besitze keine Hamburger Videos des in Frage stehenden Genres, auf das die Herren ganz offensichtlich anspielten. Plötzlich erinnerte er sich an den Besuch Wagners, und daß der Fernsehapparat angeschaltet war, als Wagner sich das Buch hatte signieren lassen.

    «Die Phantasie ist mit Ihnen durchgegangen, mein Herr», sagte er daher zu Wagner … «Es war die Kinderstunde, die ich mir damals angesehen habe.»

    «Aber Pornohefte haben Sie gekauft. Das können Sie nicht bestreiten, Pornos abartigsten Inhalts.»

    Auch die Buchhändler-Auskunft wurde herangezogen, daß er sich einen forensischen Atlas angesehen habe, und das querformatige Buch wurde auf den Tisch gelegt, vermutlich auf Staatskosten gekauft, und Wagner und Steguweit sahen sich die Fotos an: Eine Seite mit recht drastischen Vergewaltigungsfotos ließen sie aufgeklappt liegen. Inge, die Polizistin, hätte sich den Atlas auch gern angesehen, doch sie mußte auf den Zeiger des Tonbandgeräts gucken, ob er auch richtig ausschlägt. Vielleicht doch lieber das Mikrophon etwas näher an Sowtschick ranstellen?

    Dann wurde Sowtschicks Alibi durchgegangen, das taten die Beamten für ihn, während Sowtschick auf der speckigen Kreiskarte weiterhin Sassenholz suchte. Er kniff die Augen zusammen: Das Sassenholzer Moor mit den Entwässerungsgräben war deutlich zu erkennen, da steckte an einer bestimmten Stelle ein signalrotes Papierfähnchen – aber wo war Sassenholz? Wo war die Pappelallee mit seinem schönen Haus? Mit den Mädchen, die da ein und aus gingen, ein Tablett voll Kuchen in der Hand?

    Blumenmuskel, der der Anemone, Wiesenmorgen nach und nach erschließt? … An den Artikel für den «Globus» mußte er denken, über die verschiedenen Parteien, und welcher er den Vorzug gibt. Herrlich, daß er den nicht mehr zu schreiben brauchte!

    Erika sei nach neun Uhr nicht mehr

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