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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nochmalige Vorstellung der gängigen Problemfelder: Er stellte den Apparat aus, wobei ihm auffiel, daß das kleine indische Kugelspiel, das sonst auf dem Apparat stand und klickende Geräusche von sich gab, wenn man es anstieß, fehlte.

    Merkwürdig, dachte er, alles schleppen sie weg …

    Er räumte die Reste seines Abendbrots in die Küche und pfiff die Hunde herbei – zehn Uhr? Das Gassigehen war fällig.

    Es war eine wollüstige Nacht, warm, voll Korngeruch. In der Ferne schrie eine Kuh, und über den dunkelroten Himmel flog blinkend ein Flugzeug nach Amsterdam, Paris oder London, gefüllt mit Menschen, die nicht daran dachten, daß sich die Abgase ihres Flugzeugs auf die goldenen Ährenfelder der Sassenholzer Börde legen und daß sie eventuell auf einer Autobahn notlanden müssen.

    Sowtschick ging, von den Hunden umtobt, auf das Dorf zu. Die Zweige der Bäume griffen wie Scherenschnitte gegen den roten Himmel, und erste Sterne zeigten sich im Osten. Um diese Zeit ließ sich niemand mehr auf der Straße blicken, Sowtschick konnte sicher sein, daß er nicht angeredet werden würde: Ob er mal wieder ein Buch schreibt? «Ich hab Sie im Fernsehen gesehen», mit einer solchen Mitteilung kann man ja auch nicht viel anfangen. Die Hunde liefen neben ihm her, mal vorweg, mal zurückbleibend, immer munter, immer beschäftigt, und Sowtschick atmete tief ein und aus. Der kräftige Brustkorb hob sich, und die Lungenbläschen füllten sich knisternd mit Sauerstoff. In den glatt-elastischen Adern rollte das gesättigte Blut und machte es, daß die Zehennägel beispielsweise wuchsen, und das Haar sich aus den Drüsen schob. Eine Pollenwolke erreichte ihn: nicht anfällig für Heuschnupfen, und das nächste Kernkraftwerk in hundertdreißig Kilometer Entfernung. Sowtschick hätte jetzt gern einen Stock gehabt und damit auf den Weg gestoßen.

    Nun kam er durch die Flüchtlingssiedlung, kleine Häuser mit bläulich wechselnden Fernsehreflexen hinter den Gardinen. Flüchtlinge: Trecks über eisiges Land, überfüllte Schiffe auf nachtschwarzer See: Scheinwerfer zucken auf… Still und freundlich hatten diese Menschen sich hier angesiedelt, Leute, die das sonderbarste Deutsch sprachen und die verschiedenartigsten Renten bezogen, famose Holzmeiler bauten und wußten, wo Pilze zu finden sind. Deren Hunde im übrigen mit Sowtschicks Hunden befreundet waren. Jetzt bellten sie im Innern der Häuser.

    Auch Sowtschick gehörte zu den Flüchtlingen, auch er hatte wer weiß was hinter sich, nur daß Glück und Fleiß ihn hoch hinaufgetragen hatten, im Unterschied zu den anderen vielen, die nur bescheidenen Wohlstand genossen, die also auch aus diesen Gründen zu dem von Nietzsche so genannten «kriechenden Gezwerge» gehörten, zum allerdings irgendwie liebenswerten Gezwerge.

    Out, out, out!

    Im letzten Haus der Flüchtlingssiedlung schimmerte kein Fernseher hinter der Gardine. Hier war man bereits schlafen gegangen. In diesem Haus wohnten Rita und Sabine Rademacher, die beiden Pferdemädchen. Sie lagen jetzt vermutlich heiß in ihrem Bett, einen Teddy im Arm. Das glückselige Pony stand neben dem Haus auf der kleinen, ihm zugestandenen Weide und schnaubte.

    Woran lag es, daß er keine Gemeinschaft mit jungen Menschen hatte? Sowtschick wußte wohl, daß seine Leser überwiegend dem Mittelalter angehörten, Damen, die man in Caféhäusern sah, pensionierte Herren mit Landsmannschaftsabzeichen am Revers. Daß dies so war, lag daran, daß er Vergangenheit aufarbeitete, mehr oder minder «vergnüglich», und daß er es unterließ, die bürgerliche Gesellschaft mit Problemfeldern zu attackieren, ihr die Maske vom Gesicht zu reißen, wie es die meisten seiner Kollegen taten, wofür sie dann von ebendieser Gesellschaft Preise zuerkannt bekamen, einen nach dem andern. Gelegentliches Zusammensein mit Jugend, bei Lesungen in Schulen oder Jugendheimen, verlief selten glücklich.

    Ein einziges Foto gab es, auf dem Sowtschick mit Jugend zu sehen war, das geisterte durch manche Agenturen: An einem Waldrand saß er, links und rechts ein Mädchen in weißem Kleid … Es war ein Zufallsfoto und durchaus untypisch: Um weitläufige Verwandte seiner Frau hatte es sich gehandelt, Nichten aus Heidelberg, die nur kurz mal vorbeigekommen waren, ohne eine rechte Vorstellung zu haben von der Schriftstellerei ihres Onkels und deren Bedeutung.

    Erste Fledermäuse flatterten um die Bäume. Sowtschick ging am Dorfteich entlang, an dem die Hunde Enten

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