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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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erfunden, in dem schwingt etwas von der Glut und von der Last heißer Tage. Auch von der lodernden Durchsichtigkeit der Atmosphäre ist etwas darin enthalten, von der man vielleicht nur in diesen Stunden begreift, daß auch sie aus Molekülen besteht, die nach physikalischen Gesetzen emporflimmern. Spinnweben ziehen über den Weg, und junge Schwalben sitzen auf den Drähten und ruhen sich aus.

    Hundstage, das sind Tage, an denen das Leben stillzustehen scheint, in Schwerelosigkeit, wie die Schaukel, wenn sie ganz oben ist. Danach rasen die Tage dem Herbst zu, Wehmut stellt sich ein: Gedanken an Abschied und Tod.

    An einem solchen Hundstag beschlossen die Mädchen, Lampions zu kaufen und den Garten zu illuminieren. Das war als Überraschung gedacht, weshalb denn auch Sowtschick so ziemlich alles mitkriegte. Rumoren im Haus, jugendlich zugeschlagene Türen, das Auto starten, daß der Kies spritzt, und wieder einfahren in die Garage. Und dann plötzlich Stille, was womöglich noch interessanter war.

    Das Telefon klingelte. Sowtschick ging an den Apparat, weil es niemand anders tat. Ein Herr von der Landesregierung fragte, ob Herr Sowtschick zu sprechen wär. Dieser Beamte, dessen Dienstzeit sich vermutlich von halb zehn Uhr bis Viertel nach elf abspielte, beklagte sich, daß Sowtschick ewig nicht da sei … Es handele sich um die Delegation aus der VR China, er wolle sich nur noch einmal vergewissern …, worauf Sowtschick nochmals sagte: Chinesen jederzeit, aber keine Japaner, diese Walabschlachter. Gleich darauf klingelte es noch einmal – Herr Röwekamp, der aufgeregte Besitzer der City-Buchhandlung wollte wissen, ob Sowtschick nicht vielleicht doch kommen könnte, er habe den Abend ja leider abblasen müssen wegen der leidigen Mord-Affäre, aber diese Ablehnung könne er jederzeit wieder rückgängig machen. Zwei würde er sagen, zweitausend, ja? – Und, solle er ihn abholen lassen? «Das tun wir gern.»

    Sowtschick war versucht, sofort «nein!» zu rufen, eiskalt, wie er es bei der Freifrau von Bodenhagen getan hatte, wodurch ihm die reitlustigen Töchter entgangen waren. Er beherrschte sich. «Zwei» waren mitzunehmen, und außerdem interessierte ihn, wie sich die Leute ihm gegenüber verhalten würden jetzt, nach der Affäre. Bei der Gelegenheit würde er auch herausbringen, wie das Publikum auf die «Winterreise» reagierte. Vielleicht lehnten die Leser das Buch wegen allzugroßer biographischer Nähe ab? Fingerling mußte ja nicht unbedingt ein Dichter sein. Noch wäre es Zeit, auf Musiker oder Maler umzuschalten. Andererseits: Aufschlüsselbarkeit könnte ja auch Anlaß für heftige Zustimmung sein, Hintergründe, darauf waren Leser doch immer so scharf?

    Weil an demselben Tag Schützenfestvorfeier in Sassenholz sein würde, mit Bums-Musik und Gegröle, sagte Sowtschick zu. Dieser Unruhe könnte durch eine Fahrt nach Hamburg ausgewichen werden.

    Normalerweise gab es um sieben Uhr Abendbrot. Daß es an diesem Überraschungstag zu indischen Verzögerungen kommen würde, war einzusehen. Die Mädchen tummelten sich in der Küche – «Dohona nohobis» – und tummelten sich im Garten: «Alles schweiget, Nachtigallen …» Eine gute Gelegenheit für eine Durchschnüffelung ihrer Zimmer.

    Beim Löwenheckerchen war Sowtschick schon mal gewesen. Im Schoß der Nacht hatte er auf ihrem Bett gesessen und das schluchzende Mädchen getröstet. Herunterfallende Haarmassen und in der Ferne das Doppelkonzert … Daß er das Beisammensein nicht «ausgenutzt» hatte, kam ihm noch immer nicht sonderbar vor. Auch im Wiederholungsfall hätte er sich nicht an ihr vergriffen. Wahrscheinlich stimmten ihre Gene nicht mit seinen überein, vermutlich waren sie von gegenläufiger Tendenz. Sowtschick saß auf ihrem Bett und sah sich um: Ihr Seesack war aufgequollen, der Fußboden bedeckt mit Tempotaschentüchern, Röcken, Hosen und gebrauchten Socken und natürlich auch mit gewissen winzigen Kleidungsstücken, die Sowtschick versucht war, mit zwei Fingern anzuheben.

    Auf dem Nachttisch stand das Bild ihres ungetreuen Freundes Ralli. Daran war eine Ansichtskarte gestellt aus Bordeaux, der zu entnehmen war, daß Ralli sich über ein langes Telefongespräch gefreut hatte, von dem Sowtschick hoffte, daß es nicht von seinem Haus aus geführt worden war. Neben dem Bild lag ein Buch von Engelbert von Dornhagen: «Nabullione, die Kindheit des Korsen».

    Für Gabriela zur Erinnerung an
unvergeßliche Stunden

    lautete die Widmung, die

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