Hundstage
doch im Innenhof und aß ein Brot mit Honig.
O mia bella Napoli!
Der Brunnen plätscherte, die Sonne knallte vom Himmel. Ein leichter Windzug ließ hin und wieder die sich ausfächernden Kübelpalmen vor der weißen Mauer erzittern. Eigentlich gut, daß die Schulklasse ihn verpaßt hatte. Das hätte ihn den ganzen Tag gekostet. Picklige Stiesel, breithüftige Landtanten. Alles hätten sie angefaßt, und seinen Luxus hätten sie ihm vorgeworfen: «Wann endlich wenden Sie sich zeitgemäßeren Themen zu?» Schade und gut. Also gar nichts. Aus.
Sowtschick mußte lachen, wenn er an die Nacht dachte, an den englischen Straßenkapitän mit seiner Schlampe. Daß er «donkey» gesagt hatte, statt «key» … Diese irre Nacht ließe sich für eine Kurzgeschichte ausschlachten, insofern mußte man dankbar sein für all die ausgestandenen Maleschen. Umdrehen müßte man die Sache allerdings, kein hinterwäldlerischer Brite müßte die Nacht zu einer unruhigen machen, sondern eine rassige Psychologin, die eine unbehebbare Panne hat. Die beiden könnten dann über Angst sprechen, er über seine Angst, das Steckenbleiben zwischen zwei Felsen, sie über ihre, ein Gespräch, in das sich dann wirklich Angst mischt – von draußen das Johlen Betrunkener –, Bedrängungen, die sich in gegenseitiger Umarmung lösen, Enge durch Nähe besiegend.
«Nächtlicher Besuch»? Warum nicht? Oder «Lange Nacht»? Vielleicht ließe sich in einer solchen Kurzgeschichte der Rest der Problemfelder unterbringen, die seine «Winterreise» nicht mehr aufnahm.
Sowtschick schlurfte in die Bibliothek und schlug schon mal nach, was «Angst» eigentlich ist. Irgendwelche schlauen Definitionen würde er in dem Text unterbringen, die Leser würden dann denken: Dieser Sowtschick ist schon ein kluger Kerl.
Die beschauliche Innenhofruhe, die Sowtschick der Welt abgetrotzt hatte, wurde durch allerlei Außengeräusche unterbrochen, verschiedene Trecker, die Gifte zum Acker transportierten oder vergiftete Zerealien vom Feld holten, und Düsenflugzeuge, die sich in der blauen Luft aalten, donnernd eine Schleppe von schwarzem Qualm hinter sich herziehend, deren krebserzeugende Partikel sich auf die goldenen Ähren dieses Sommers legen würden.
Sowtschicks großes, einsam daliegendes Haus diente den Piloten zeitweilig als Anflugmarke, so kam es ihm jedenfalls vor. Er hatte es auch schon erlebt, daß ein einzelner Hubschrauber über dem Haus stehenblieb und sich anschickte, auf seinem Dach Platz zu nehmen. Mit der Mütze hatte er verscheucht werden müssen.
Die meisten Außengeräusche, einschließlich des sonoren Autobahnlärms bei Ostwind oder des Rauschens der immer regen Pappeln, störten Sowtschick nicht. Ein einziges Geräusch ging ihm wirklich auf die Nerven: die Kleinkrafträder der Dorfjugend, dieses blöde, fadenscheinige Simmen der überbeanspruchten Motoren. Oft genug passierte es, daß er aus seinen Bodenfenstern mit den dort deponierten Ferngläsern nicht die beiden Pferdemädchen zu sehen kriegte, sondern ein Rudel Mofas, auf denen sich Halbstarke in der Feldmark ein Rennen lieferten.
Noch länger ließ sich das Frühstücken nicht ausdehnen. Halb elf? Schnell noch einen Kontrollanruf bei Carola Schade, die man herbestellen könnte. Doch Carola Schade war nicht da, von Dornhagen auch nicht. – Der Arzt! Ja, richtig! Den könnte man sich herbestellen, der würde kommen müssen, weil er von Berufs wegen dazu verpflichtet war, und weil seine Frau seine Bücher las.
Sowtschick holte den Winterroman und ging das bisher Geschriebene noch einmal durch. Der Brunnen murmelte: «Sowtschick, Sowtschick, Sowtschick …», die Sonne knallte auf die gegenüberliegende Wand, und Sowtschick las von Zaunpfählen mit weißen Mützchen und von Schnee, der die Tannen schwer belastet … Eine Fliegenklatsche in der Hand, die Augenbrauen kritisch emporgezogen, verbesserte er hier ein Wort, strich dort eins aus – die «weißen Mützchen» zum Beispiel –, und fand das alles sehr erfreulich. Dann gelangte er an das Ende seines Manuskripts, weißes Papier bot sich ihm fordernd dar. Sowtschick lehnte sich zurück und wartete auf die Bilder seiner Vorstellung, um sie «ins Wort zu erlösen», und dann sah er auch ganz richtig den Dichter Gottfried Fingerling aus dem Hotel kommen und in die Stadt, die weiß zu seinen Füßen liegt, hinunter«stapfen» (ein Wort, das er schon ein bißchen zu oft verwendet hatte), spitze Hausdächer um ein Holzkirchlein herum.
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