Hundstage
sollte das auch gut sein, die stille klare Fläche roh aufzubrechen?
Sowtschick ging weiter. Er bog von der großen Schneise ab, weil sie in das Gebiet der Firma Senneschalk führte, mit ihren kilometerweiten Entstellungen der Natur. Seit die kleine Doris einmal in einen der Entwässerungsgräben gefallen war und sich selbst nicht hatte befreien können, mied er das Gebiet. Was die Verheerungen der Natur anging, so gehörte auch der Wald dazu, der eine Art Fabrik für Fichtenholz war, und die Kieskuhle, die von der Börde-Zeitung als tiefe Wunde im Erdreich bezeichnet wurde. Auch die Felder gehörten dazu; zwischen dem strengen Korn wuchs keine einzige Blume.
Sowtschick besichtigte die Trümmer der alten, vom Wald eingeholten Flakstellung, so wie er es jedesmal tat, wenn er hier vorbeikam. Inmitten noch vorhandener Bombentrichter lag der verfallene Kommandostand voll Brennesseln und Melde. Das Dach war eingestürzt. Eidechsen sonnten sich hier: Wenn man so will, war dies der einzige Ort der ganzen Gegend, an dem Natur sich sehen ließ. Im Kriegsfall, so stellte Sowtschick sich das vor, wenn die Russen kämen, dann könnte er sich hier verbergen unter Hirtentäschel und Schafgarbe. Marianne würde ihm Suppe bringen, warme Sachen und Papiere zu endgültiger Flucht.
Noch einmal russische Gefangenschaft? Nee …
Sowtschick kroch in den Bunker hinein, über zerbrochene Mauersteine und Betonbrocken hinweg und tastete sich in den äußersten Winkel vor. Dort setzte er sich und ließ die Stille und den Ernst des Ortes auf sich wirken. Er stellte sich die Flaksoldaten vor, die von hier aus Schwärme von Fliegenden Festungen beobachtet hatten und wohlweislich keinen Schuß abgaben. Eidechsen, Olme, Salamander: Tiere mit kaltem Blut, Asseln. Ihm war nicht eklig vor diesen niederen Tieren, auch Spinnen störten ihn nicht. Einzig Fliegen waren ihm widerlich, bei Fliegen kannte er keinen Pardon.
Nun bin ich so alt
wie der Westerwald …
Sowtschick blieb noch eine Weile, wo er war, bis es den Hunden zu lange dauerte, und dann machte er sich auf den Weg nach Haus.
Das Dorf kam in Sicht, die schwermütigen Hochspannungsmasten, die Kirche mit dem stumpfen Turm und sein Haus: das breite Dach, von runden Eichen und spitzen Pappeln umstanden, der kleine Urwald – das war sein Reich, in dem konnte ihm kein Jäger breitbeinig entgegentreten.
Vor der Pforte, das sah er jetzt, formierte sich gerade die Schulklasse zur Weiterfahrt, bunt und lebhaft. Verdammt! Junge Menschen hatten ihn also besuchen wollen. Hatten ihn im Unterricht behandelt und waren auf die Idee gekommen, ihre Klassenfahrt mit einem Besuch des Dichters zu verbinden. Was hatte er auch in dem Bunker zu suchen gehabt. Anstatt auf kürzestem Weg nach Hause zu gehen. Er rannte aus dem Wald hinaus, schrie und winkte – umsonst. Da fuhr es hin, das junge Volk, mit grün-weißem Wimpel und mit Sack und Pack einem fernen Ziel entgegen, wo es sich im Stroh wälzen würde. Schade.
Die wundersame Brotvermehrung: So hätte er unter ihnen gestanden, weiß, der Riese über dem Gezwerge, die Arme ausgebreitet, und er hätte ihnen einen Begriff vom eigentlichen Leben gegeben, dem Geiste untertan.
An seinem Gartentor war ein Zettel angebracht.
Klasse 11 c des Ratsgymnasiums
Holzminden auf großer Fahrt!
Und untendrunter, von einer Lehrerin hinzugefügt: «Schade! Und die Schüler hatten sich sooo gefreut … !»
Schade? Ja, schade. Aber warum, verdammt noch mal, hatten sie sich denn nicht angemeldet?
Vielleicht hatten sie’s ja getan, und vielleicht lag dieser Brief noch ungeöffnet auf dem Posthaufen?
O bwohl Marianne noch keine vierundzwanzig Stunden fort war, hatte sich im Haus schon Unordnung verbreitet. Die Küche bot ein bedenkliches Bild, da machte man die Tür am besten sofort wieder zu.
Sowtschick hängte die Hundeleinen an ihren Platz und ging erst mal schwimmen. Eine Maus mußte er aus dem Wasser fischen, das war kein Problem. Damit die Hunde den kleinen Kadaver nicht fraßen, tat er ihn in den Abfalleimer. Dann stieg er in das Wasser, schwamm hin und her und dachte, wie gut, daß die Schüler weitergefahren sind. Die hätten hier natürlich alle baden wollen, das Geschrei!
Nach dem Schwimmen machte Sowtschick sich sein Frühstück. Der Toaströster war zu suchen, dann die Verlängerungsschnur. Beim Öffnen der Milchschachtel glippte ihm der Fingernagel um, das übliche In-den-Korb-Treten beim Kaffeemachen.
Schließlich saß Sowtschick aber
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