Hundstage
Sowtschick die Hand und schüttelte sie länger als üblich.
«Da ist ja unser Dichter», sagte er, «lassen Sie sich einen Bart stehen? … Was meinen Sie, weshalb ich komme? Denken Sie mal nach?» Und er sah Sowtschick ernst an.
Marianne, dachte Sowtschick, es ist sicher etwas mit Marianne … Isle de Camps – er sah Dünen vor sich und zwischen Strandhafer und Sanddorn hingestreckt in ihrem Blute schwimmend: Marianne, und in rasender Geschwindigkeit spulte sich all das ab in seinem Gehirn, was nun unternommen werden müsse, von der Überführung der Leiche bis hin zur Beerdigung. Ja, Sowtschick hatte in dieser hundertstel Sekunde sogar noch Zeit, sich die Todesanzeige auszudenken, «unfaßbar», dieses Wort stand groß und deutlich darin.
Aber nein, es war nichts mit Marianne, der Anlaß des Besuches war ganz harmlos. «Nein, nichts ist passiert», sagte Wagner. Er zog eines von Sowtschicks Büchern aus der Aktentasche, das wollte er hier, am Ort der Entstehung, für seine Frau zum Geburtstag signiert haben. «Wolkenjagd» hieß es: Die Liebe eines alten Mannes zu einem kleinen Mädchen. In knapp zwei Monaten hatte Sowtschick es hingeschrieben, es war ein Geschenk der Götter gewesen. «Einhundertachtzig» hatte es ihm eingebracht, woran das blaue Umschlagbild seinen Anteil gehabt hatte: Es wirkte an diesem strahlenden Tag, als ob sich der Himmel darin spiegelte.
Die Männer nahmen auf einer Gartenbank Platz und beugten sich über das Buch, Sowtschick, um seinen Schriftzug hineinzusetzen, Wagner, der sich noch einmal erhob und die Bank mit seinem Taschentuch säuberte, um ihm dabei zuzusehen. «Anneliese Wagner, Weihnacht 1985, von Fritz», stand bereits auf der ersten Seite. Und nun sollte es noch einmal signiert werden, und zum Geburtstag. Das war ja praktisch: Der Herr schenkte es seiner Frau zweimal! Typisch Beamter!
Sowtschick sah, daß es sich bei dem Exemplar, das hier auf seinen Knien lag, um eine Buchklubausgabe handelte. Obwohl er sonst nur Originalausgaben signierte, machte er aus lokalpolitischen Gründen eine Ausnahme, und er wählte die energische Variante seiner Unterschrift, fest aufgedrückt und breit.
Der Beamte war jedoch noch nicht zufriedengestellt: Was die Buchstabenkombination vor seinem Namen bedeute, wollte er wissen, den verkürzt hingehauenen Vornamen Sowtschicks meinte er damit, und um Deutlichmachung des I-Punktes bat er dann auch noch.
Damit war die Angelegenheit erledigt, und Wagner hätte eigentlich gehen müssen, aber das tat er nicht, er lehnte sich zurück und atmete tief durch: Die herrliche Natur! Legte alle zehn Fingerspitzen seiner rötlichblond behaarten Hände gegeneinander und sagte: «Wissen Sie eigentlich, daß Sie es hier sehr schön haben? Verdammt schön … Die Bäume, Büsche und Rabatten …» Und er sah hinter sich, ob dort ebenfalls Bäume, Büsche und Rabatten zu sehen sind.
Dann referierte er die freundliche Meinung, die seine Frau, ein schweres Kaliber mit Donnerhaaren, von Sowtschicks Schreibkünsten hatte. Sie war eine Schwester des schriftstellernden Schulmeisters («De Düwel in de Föör»), außerdem Mitglied eines Lesekreises und Verfasserin von Gedichten. Irgendwann würde sie das Bedürfnis nicht mehr zügeln können, ihre Reime Sowtschick vorzutragen. Vor einiger Zeit hatte sie ein Autorentreffen angeregt, bei dem Sowtschick, der Schulmeister und Edmund Ballon, Verfasser besinnlicher Betrachtungen in der Börde-Zeitung, sich zusammensetzen und einander aus eigenen Werken was vorlesen sollten. Der Lesekreis könne dann ja als Publikum fungieren! – Dieses Ansinnen hatte im Keim erstickt werden können, obwohl sich auch Marianne, die mit der Polizistenfrau Ableger tauschte, ins Mittel gelegt hatte.
Die Gefahr einer Attacke auf sein Privatleben stand offensichtlich unmittelbar bevor, das dämmerte Sowtschick. Aber nein, der Polizeibeamte schlug die Beine übereinander und berichtete vom Stand der Ermittlungen im Mordfall Ohltrop. Daß die Aufklärung noch nicht allzuweit gediehen sei, sagte er, heiße Spuren jede Menge, aber keine konkreten Anhaltspunkte. Offensichtlich seien die Täter über die Terrassentür in das Haus eingedrungen. Aber wieso sie gemordet hätten, das sei total unverständlich. Einbrecher und Mord, das passe irgendwie nicht zusammen, und daß Ohltrop sich so gar nicht gewehrt habe? Hinterher hätten die Banditen noch eine Orgie gefeiert, anstatt zu machen, daß sie wegkommen.
«Sie haben ja auch allerhand
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