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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Vater, ein jähzorniger Hilfsarbeiter, wurde zum Zaunflicken herangezogen, die Mutter zum Servieren bei besonderen Gelegenheiten, wenn Hessenberg sich mal nach Sassenholz verirrte oder bei «Fang-Partys», die Sowtschick gelegentlich arrangierte, um mit Medienleuten ins Gespräch zu kommen, Rehrücken mit Grünkohl. Marianne kaufte der Frau, die gern mal zur Flasche griff, Kleider, und dem finsteren Mann Hosen. Sie hatte ihm sogar schon mal ein Moped spendiert, damit er immer schön pünktlich zur Arbeit käme: Das war Sowtschick nicht recht gewesen, er hatte sehr geschimpft.

    Erika hatte es mit Unterbrechungen bis zum dritten Schuljahr geschafft, das wiederholte sie nun, so oft es ging, und Alexander war ihr Freund. Gern strich sie um das Haus herum, stand unversehens in der Küche oder gar im Badezimmer und gab sich so vertraulich, daß Besucher sie schon für Sowtschicks Tochter gehalten hatten.

    Sowtschick konnte sich jetzt nicht mit ihr befassen, er mußte sich von dem Polizeikommissar erholen, und außerdem wollte er die Handwerker anrufen wegen des Faradayschen Käfigs.

    Er schickte das Mädchen Bierdosen einsammeln. (Es wurden jeden Tag mehr, sooft er sie auch entfernte.) Bierdosen einsammeln und dann die Schafe umpflocken, und dann sollte sie man schnell wieder nach Hause gehen.

    «Mama wartet bestimmt schon!»

    Was die Schlosser anging, da hatte er nicht viel Glück: Mißmutig lauschte Sowtschick dem Tüten im Telefon, die Leute waren jetzt natürlich auf Arbeit. «Mein Vater ist nicht da, und ich weiß kein Bescheid», so in diesem Stil.

    Eine Kontrolleinschaltung des Fernsehapparats ergab, daß sich die zeltende Jugend bereits mit dem Türkenkind verbrüdert hatte und gemeinsam einen Unternehmer stellte, der giftige Abwässer in den kristallklaren Fluß einleiten will. Die nächste Folge dieser Sendung würde in einer Woche zu sehen sein. Titel: «Verflixt und zugenäht».

    Sowtschick ließ sich auf einen Stuhl fallen, auf dem er sonst nie saß, Bücher, Platten, Post – alles war ihm zum Ekel. Er war nicht hungrig und nicht satt. Am liebsten hätte er eine Axt genommen und mit der stumpfen Seite alles kaputtgeschlagen. Alles kaputtschlagen und dann weggehen, nach Marburg vielleicht oder nach Lugano, eine Zweizimmerwohnung mieten und das Leben still beenden. Da könnten sie ihn lange suchen, all die feinen Freunde, die nicht ans Telefon gingen, wenn er sie anrief, all die Enddreißigerinnen, die ihn zwar lasen, aber nichts dergleichen taten. «Sowtschick verschwunden! » Was das wohl für eine Aufregung geben würde! In der Zeitung würde es stehen, und alle würden sagen: Ja! Wir haben ihn vernachlässigt! Wir hätten uns um ihn kümmern müssen!

    Erika war, wie sich zeigte, nicht nach Hause gegangen. Jetzt guckte sie von draußen ins Studio, was Sowtschick da macht, rief «Huhu!» und sprang von einem Fenster zum anderen. Sie trieb dieses Spielchen, weil Sowtschick schon mal Schubkarrefahren gemacht hatte mit ihr, über den Rasen, was ihm den Ruf eingetragen hatte, gut mit Kindern zu können. Dem Schubkarrefahren war eine Hetzjagd durch das ganze Haus gefolgt, wobei das Kind plötzlich blau geworden war, das Herz!

    Sowtschick jagte sie fort. «Hau ab! Mama wartet!» Er gab sich todernst, damit es wirkte.

    Nach längerem Dösen raffte er sich auf und ging in den heißen Garten hinaus. Er band die Schafe los, die der Sozialfall auf eine bereits abgeweidete Stelle gepflockt hatte, und setzte sich mit den dankbaren Tieren an den Zaun zu seiner Freundin Bianca. Auch die Hunde kamen gelaufen. Er ließ sich von den Schafen treten und von den Hunden lecken, und er wurde traurig: Verlassen kam er sich vor und beschädigt. Das große Haus, imponierend lag es da, aber leer! Wie ausgestorben. Wie schön wäre es, wenn sich jetzt in diesem Augenblick oben unterm Dach das Fenster öffnete und Marianne ihm zuwinkte, wie sie es gerne tat an guten Tagen. Oder wenn Schitti und Klößchen aus dem Garten gesprungen kämen, ganz wie in alten Zeiten … Einen Augenblick dachte Sowtschick daran, das Nötigste in einen Koffer zu werfen und seiner Frau nachzufahren. Er malte sich aus, wie erfreut sie sein würde, fern im fernen Frankreich, in den Dünen der Isle de Camps, wenn er plötzlich mit dem Wagen vorführe – ein Jubelschrei und augenblicklich in ein erstklassiges Hotel umziehen. Abends dann bei Kerzenlicht angesichts des Meeres Artischocken auseinanderbrechen.

    So schnell dieser Gedanke auftauchte, so

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