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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Den größten Eindruck machten nicht die VIPs auf Wagner, sondern die Fotos von der Tennisspielerin Claudia Klieforth, die anläßlich der Bambi-Verleihung in München gemacht worden waren. Mit Sektglas in der Hand, gab Alexander ihr gerade einen Kuß aufs Ohrläppchen. (Smoking natürlich sowieso.) Das Interesse des Polizisten erregten auch Fotos von den Dreharbeiten zu «Kaum einen Finger breit». Erwin Roggenkamp in der Kleidung eines verfolgten Widerstandskämpfers, mit Autor Sowtschick Arm in Arm. Lange hielt Wagner ein Foto der Schauspielerin Sonja Schönboom in der Hand, die in demselben Film eine in Leder gekleidete Gestapo-Agentin spielte und sich besonders grob gebärden mußte bei der Vernehmung von Staatsfeinden: «Kaum einen Finger breit».

    Wie diese Frau denn so sei, wollte der Kommissar wissen.

    «Ziemlich haarig, alles in allem», sagte Sowtschick, «schwierig also, aber auch irgendwie nett.» Er sei mit ihr in Baden-Baden zusammengewesen, und an diesem Zusammensein habe er Tage zu knacken gehabt.

    Wagner ließ die Fotos durch die rötlich behaarten Finger gleiten. Dann gab er sich einen Ruck und sagte, er empfehle statt einer Einbruchssicherung einen «Faradayschen Käfig» um das Allerheiligste herum. Hier könne Sowtschick sich nachts einschließen, er habe dann im Falle eines gewaltsamen Einstiegs die Möglichkeit, sich den Nachbarn bemerkbar zu machen, ohne daß ihn die «Brecher» daran hindern könnten: mit Glocke, Signalhorn oder Sirene. Es wäre immer noch besser, diesen Menschen die Stereoanlage zu opfern und den ganzen Krimskrams da unten, als von ihnen abgeschlachtet zu werden wie Ohltrop in Hamersiek, dessen Frau ja Gott sei Dank nicht dagewesen sei, in der Nacht; mit ihrer Tochter sei sie nach Schleswig-Holstein gefahren, ein Pferd zu kaufen … Jetzt habe die Frau übrigens größte Probleme. Die teure Villa und von heut auf morgen keine Einkünfte?

    «Die Leute könn’ ja auch den Rachen nicht vollkriegen. Muß das nu ein Schwimmbad sein und ’ne Sauna? Und denn noch Pferde? Diese Leute denken, sie leben ewig. – Sind Sie wenigstens anständig versichert?»

    Beim Hinuntergehen informierte Sowtschick den Beamten denunziativ über den Scherenschleifer, daß der sich sein Haus so sonderbar intensiv angesehen habe: Ein südländischer Typ mit irgendwie Akzent und eine Begleiterin in schmuddeligen weißen Cordhosen …

    Wagner jedoch wollte wissen, was die kleinen roten Aufkleber auf den Stufen sollen – «Aha! Daß Ihre Frau Sie nicht stört? Da sind Sie wohl sehr geräuschempfindlich? Das ist schlau!» Er hielt die «Wolkenjagd» immer noch in der Hand. «Meine Gattin ist eine große Verehrerin von Ihnen», sagte er: Ob sie nicht mal kommen dürfe? Zusammen mit seinem Schwager? Wenn der Herr Dichter mal ’ne Sekunde Zeit habe? Was? Sein Schwager sei ja ebenfalls schriftstellerisch tätig. «De Düwel in de Föör», sie könnten ja mal fachsimpeln, so Kniffe und Tricks … Und vielleicht noch den Herrn Ballon von der Börde-Zeitung dazuladen und sich dann gegenseitig was vorlesen? Für Publikum würden sie schon sorgen, und ein Teller Suppe würde sich auch schon noch finden. Die Börde sei ja kulturell eine Wüste, wie sie im Buche steht. Das «Fron-Hus» zum Beispiel, anstatt daraus eine Begegnungsstätte zu machen, mit offenem Feuer, Liederkreis und Diskussionsabenden …

    Sowtschick gab sich jovial, er geleitete den Mann hinaus in die Hitze. Man werde aufeinander zukommen, dächte er. «Ich melde mich dann.» Der Beamte wiederholte noch einmal seinen Rat, ein Faradayscher Käfig wär die Lösung, die kleinen Glöckchen da unten im Haus könnt er ruhig auf den Misthaufen schmeißen.

    Nach dieser Geschichte sackte Sowtschick in sich zusammen. Er trank vom kaltgewordenen Kaffee und versank in dumpfes Brüten. Womit hatte er das verdient? Warum verlangten immer nur korsetttragende Kleinstädterinnen nach ihm, onduliert und in Blumenkleidern, warum kam nicht einmal eine guterhaltene emanzipierte Enddreißigerin nach Sassenholz, eine drahtige Frau, mit der eine Einlassung möglich wäre, ohne daß daraus eine komplizierte Lebenssache würde?

    Immerhin, einen Nutzen hatte der Besuch gehabt: der Hinweis auf den Faradayschen Käfig. Das war die Lösung für Sowtschicks Ängste.

    N och einen Besuch empfing Sowtschick an diesem Tag: das Mädchen Erika, ein «ewig grinsender Sozialfall», wie sie genannt wurde: mager, mit struppigem Haar und Brille, herzkrank von Geburt. Der

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